Es ist zu früh, um Deutschland abzuschreiben

Gestern noch Exportweltmeister – heute ohne Wachstumsimpulse: Deutschlands Wirtschaft schwächelt und stellt die Regierungskoalition auf die Probe. Wir sehen trotz der anhaltenden negativen Nachrichten einen Hoffnungsschimmer: Small Caps sind gegenüber Large Caps historisch niedrig bewertet – ihr Potenzial erkennen auch Private-Equity-Firmen.

Vor allem energieintensive deutsche Unternehmen stellen sich derzeit zunehmend die Standortfrage. Investitionen in neue Produktionskapazitäten werden immer öfter im Ausland getätigt und auch bestehende Werke stehen auf dem Prüfstand, werden teilweise geschlossen oder ebenfalls verlagert. Und das, obwohl die Regierung mit der jüngst verabschiedeten Kraftwerksstrategie die Planungssicherheit in Sachen Energie erhöhen und in wasserstofffähige Gaskraftwerke mehr investieren will.

Es wäre unklug, den Stab über Deutschland vorschnell zu brechen. Die hiesigen Unternehmen haben schon so manche Krise gemeistert und sich erschwerten Bedingungen bereits des Öfteren erfolgreich angepasst.

Alexander Dominicus, Portfolio Manager, MainFirst Asset Management

Der Glanz vergangener Tage bröckelt mittlerweile gewaltig. Für Dekaden war Deutschland ein europäischer Vorreiter mit starker Industrie, innovativer Technologie und hochqualifizierten Arbeitskräften. Nun klagen Unternehmen insbesondere über eine ausufernde Bürokratie, den fortschreitenden Fachkräftemangel und eine verfehlte Energiepolitik.

Es ist zu früh, um Deutschland abzuschreiben
Da im kommenden Jahrzehnt die Babyboomer sukzessive das Rentenalter erreichen, steigt in Unternehmen die Nervosität im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Fachkräften. Aber die deutschen Unternehmen sind bereits dabei, sich auf diese Zeit vorzubereiten. Sie arbeiten an unterschiedlichen Lösungsansätzen. Besonders die Digitalisierung bietet Flexibilität, um Mitarbeiter ortsunabhängig einzusetzen. Das führt dazu, dass neue Stellen zunehmend im Ausland entstehen, zum Beispiel im IT-Bereich. Insbesondere Länder in Osteuropa sind für deutsche Unternehmen wachsende Standorte. Auch Künstliche Intelligenz kann helfen, den Fachkräftemangel abzufedern. Firmen arbeiten mit Hochdruck daran, manuelle Prozesse zu digitalisieren und damit Personal einzusparen. Vor dem Hintergrund dieser Bemühungen ist es unklug, den Stab über Deutschland vorschnell zu brechen. Die hiesigen Unternehmen haben schon so manche Krise gemeistert und sich erschwerten Bedingungen bereits des Öfteren erfolgreich angepasst. Wachstumschancen werden verstärkt im Ausland gesucht, die Expansion wird beispielsweise in den USA sukzessive vorangetrieben. Besonders am aktuellen Höhenflug des DAX lässt sich ablesen, wie deutlich sich Unternehmen von der heimischen Wirtschaftsschwäche abkoppeln können.

Nebenwerte sind attraktiv – auch für Private Equity
In erster Linie sind es energieintensive Branchen wie Chemie oder Stahl, die an den höheren Energiekosten kränkeln. Der deutsche Mittelstand hingegen beinhaltet viele Unternehmen mit weniger energieintensiven Geschäftsmodellen, die weniger von der Energiepolitik betroffen sind. Daher sehen wir im aktuellen Umfeld eine einmalige Investmentchance im deutschen Mittelstand – zumal ein Grossteil des Marktes das Nebenwertsegment vernachlässige. Dass diese Small Caps mittlerweile gegenüber Large Caps zu historisch günstigen Preisen handeln, ist auch Private-Equity-Firmen nicht verborgen geblieben. Im August 2023 hat die Nachricht für Aufregung gesorgt, dass der Private-Equity-Gigant KKR ein Übernahmeangebot für OHB plane, einen klassischen «Hidden Champion» in der wachsenden Raumfahrt-Branche. Das Potenzial wurde dennoch lange von der Börse verkannt. Im links liegen gelassenen Nebenwertesegment hat die Firma nicht die nötige Aufmerksamkeit erhalten und ist schliesslich von Private Equity als Übernahmekandidat entdeckt worden. Weitere prominente Beispiele sind die Softwarefirma Suse und der Hersteller von Isolationsverpackungen va-Q-tec, welche beide durch EQT übernommen wurden.

Übernahmeprämien flankieren das Kurspotenzial
Trotz toller Unternehmen und starker Geschäftsmodelle interessiert sich die Börse kaum noch für diese Aktien. Die wachsende Beachtung von Private Equity für deutsche Nebenwerte bietet aber auch Anlegern Chancen. Das erhöht das Kurspotenzial für dieses Segment auf eine doppelte Art, da Anleger nicht nur auf eine Erholung des Segments hoffen können, sondern zeitgleich noch attraktive Übernahmeprämien einstreichen, wenn Private Equity die Fühler ausstreckt.

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