Chinas neuer Konsumismus schafft Anlagechancen auf Jahre hinaus

Hinter der diesjährigen Rally an der Hongkonger Börse steht ganz klar ein Thema: Chinas neuer «Konsumismus». Die Konsumgewohnheiten junger Chinesen und die zunehmende Anzahl chinesischer Unternehmen, die Einnahmen aus geistigem Eigentum erwirtschaften, sorgen weltweit für Aufmerksamkeit.

Die langfristigen ausländischen Investitionen am chinesischen Aktienmarkt liegen zwar weiterhin auf einem mehrjährigen Tiefstand. Das Interesse an einer Allokation in chinesische Aktien hat aber erkennbar zugenommen, wobei der Fokus vor allem auf den Themen Innovation und margenstärkere Geschäftsmodelle liegt.

In einigen marktanteilsstarken chinesischen Branchen sind die Gewinnmargen aufgrund einer hohen Wettbewerbsintensität zwar niedrig. Unseren Beobachtungen zufolge nimmt die Zahl der chinesischen Unternehmen, die mit eigenen IPs, technologischen Innovationen und Produktdifferenzierung hohe Margen erzielen, jedoch seit einigen Jahren kontinuierlich zu. Noch erzielen viele westliche börsennotierte Unternehmen höhere Bruttomargen als ihre chinesischen Konkurrenten. Daher ist Chinas Innovationsstärke entscheidend für die Vermeidung eines ruinösen Wettbewerbs und die Verbesserung der Margen.

Am chinesischen Aktienmarkt könnte der durch Technologie und Innovation vorangetriebene Anstieg der Bruttomargen die grösste Anlagestory der nächsten zehn Jahre sein.

Raymond Ma, Chief Investment Officer Mainland China and Hong Kong, Invesco

Unsere Analyse zeigt: Ein 1-prozentiger Anstieg der Investitionen in Forschung und Entwicklung kann zu 1% bis 2% höheren Bruttomargen führen und chinesischen Unternehmen helfen, sich in der Wertschöpfungskette nach oben zu bewegen. Dies ist der Weg, den China in den nächsten zehn Jahren gehen muss. Schon heute finden sich in vielen chinesischen Branchen margenstarke Wachstumsunternehmen.

Am chinesischen Aktienmarkt könnte der durch Technologie und Innovation vorangetriebene Anstieg der Bruttomargen die grösste Anlagestory der nächsten zehn Jahre sein. Höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung könnten Chinas Gesamtbruttomarge auf 30% steigern und damit zu einer deutlichen Verbesserung der Cashflows und Profitabilität am gesamten Markt führen. Das würde auch den Pro-Kopf-Konsum ankurbeln. Ich plädiere deshalb für eine Neudefinition des Begriffs «neuer Konsumismus» als einen Trend, der von einer jüngeren Generation vorangetrieben wird, die Produkte nicht mehr nur kauft, sondern ihre Emotionen auf sie projiziert.

Die Ein-Kind-Generation gibt es nur in China – das Internet aber ist ein universelles Phänomen. Die Nutzung des Internets kann zu einem Paradoxon führen, bei dem Menschen verbunden zu sein scheinen, sich aber zunehmend isoliert fühlen und daher Ventile für ihre Emotionen suchen. Dieses weltweit verbreitete Gefühl der Einsamkeit stellt einen fruchtbaren Boden für die internationale Expansion chinesischer IP-Unternehmen dar. Statt vom neuen Konsumismus sollten wir lieber vom «Konsumismus der nächsten Generation» sprechen. Sein künftiges Wachstum hängt von der Fähigkeit der chinesischen Unternehmen ab, neues geistiges Eigentum mit emotionaler Bindung zu schaffen und in internationalen Märkten Fuss zu fassen. Diesbezüglich verweise ich auf die bereits begonnene Expansion chinesischer IP-Unternehmen in Südostasien sowie vereinzelte erfolgreiche Markteintritte in westlichen Industrieländern.

Wir halten deshalb einige «New Consumer»-Aktien mit statischen und nachlaufenden 12-Monats-KGVs von fast 100 oder sogar darüber für hoch bewertet. Im Zuge der eingesetzten Konsolidierung in einigen Bereichen ist die Bewertung des «neuen Konsums» zu einer grossen Herausforderung geworden. Wir empfehlen den Einsatz mehrerer Bewertungskennzahlen, darunter das PEG-Verhältnis als gängiges Bewertungsmass für Wachstumsaktien sowie «weiche Kennzahlen» wie emotionaler Wert, Nutzerbindung und Langlebigkeit des geistigen Eigentums. Teuer ist nicht immer wirklich teuer und günstig ist nicht immer wirklich günstig. Entscheidend ist ein analytischer Rahmen, um zu bewerten, ob ein Unternehmen echte emotionale Bedürfnisse erfüllt. Weitere wichtige Bewertungsfaktoren sind Variablen wie der Lebenszyklus des IP-basierten Geschäftsmodells, der wiederum von Kreativität und einem anhaltenden Output abhänge. So steht und fällt das Wachstum von Designer-Toys zum Beispiel mit der Fähigkeit der Unternehmen, kontinuierlich neues geistiges Eigentum zu entwickeln oder zu lizenzieren. Ohne Unterstützung durch Filme oder Computerspiele könnten IP-Produkte schnell an Attraktivität verlieren.

Mit Blick auf die nächsten zehn Jahre sehen wir chinesische IP-Unternehmen am Beginn einer goldenen Ära. Noch werden die hohen Bewertungen weitgehend vom heimischen Markt getragen – die emotionale Resonanz wird jedoch der Schlüssel zur internationalen Expansion sein. Die von chinesischen IP-Produkten verkörperten Themen der Einsamkeit und des individuellen Ausdrucks sprechen Konsumenten weltweit an und bilden die kulturelle Grundlage für die Internationalisierung dieser Unternehmen. Unserer Erwartung nach werden sich chinesische Konsumaktien auch im zweiten Halbjahr besser als der Gesamtmarkt entwickeln, wobei vor allem Wachstumsaktien die Performance antreiben dürften. Kategorien wie Designer-Toys und neue Trendgetränke würden vom veränderten Konsumverhalten der Generation Z und der Millennials sowie von der wachsenden Beliebtheit heimischer Marken profitieren. Die Profitabilitätsunterschiede zwischen den Unternehmen dürften weiter zunehmen und die Bewertungen vor allem von der Profitabilität abhängen, da der reine Preiswettbewerb nicht länger tragfähig ist.

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