Das nächste Kapitel in der Halbleiter-Industrie
Kürzlich haben wir die Halbleiter-Industrie aus der Perspektive der Investitionsausgaben und der Regierungspolitik thematisiert, die darauf abzielt, weitere Investitionen zu fördern und letztendlich die industrielle Unabhängigkeit sicherzustellen. Es wäre jedoch nachlässig, die geopolitischen Komponenten ausser acht zu lassen.
Vereinfacht man die recht komplexen Beziehungen zwischen den Ländern, so ergibt sich im Zusammenhang mit der Halbleiter-Produktion ein interessantes Dreieck aus verschiedenen Akteuren.
- Giessereien
Diese Unternehmen stellen die physischen Chips her. Es gibt nicht allzu viele Einzelakteure, da die Investitionskosten für den Einstieg in diesen Bereich extrem hoch sind. Zudem verfügen nicht alle über dieselben Fähigkeiten. Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. (TSMC) ist bekannt dafür, die modernsten Chips auf der Welt zuverlässig herstellen zu können. Samsung Electronics, Intel und Global Foundries sind weitere wichtige Akteure. - Unternehmen für geistiges Eigentum
Diese Unternehmen erstellen und verkaufen verschiedene Layouts und Designs. ARM, das Unternehmen, das sich derzeit im Besitz von SoftBank befindet, ist ein Beispiel, das im Internet der Dinge (IoT) stark vertreten ist. - Hersteller von Werkzeugen für die Automatisierung des elektronischen Designs (EDA)
Seit dem Jahr 2021 betrugen die Investitionen in EDA nur 10 Milliarden US-Dollar. Dies ist jedoch nur ein kleiner Teil des gesamten Halbleitermarktes von 595 Milliarden US-Dollar. Aber sie sind unerlässlich, wenn Chip-Hersteller vor der Produktion feststellen wollen, ob ein Design machbar ist. Cadence, Synopsys und Mentor Graphics sind die drei führenden Anbieter in diesem Bereich. Zusammen kontrollieren sie etwa 70 Prozent des Weltmarktes.
Jeder Akteur in diesem Dreieck verfügt über ein grosses technologisches Wissen und langjährige Produktionserfahrung. Somit ist der Markteintritt für einen aussenstehenden Akteur – beispielsweise China – extrem schwierig.
Beispiel ASML
Lithografie ist die Bezeichnung für das Ätzen der entsprechenden Strukturen auf dem Silizium, die den funktionalen Betrieb der Transistoren ermöglichen. Mehr Transistoren in engeren Abständen bedeuten, einfach ausgedrückt, einen effizienteren und leistungsfähigeren Chip. Der heutige Apple M1-Chip enthält 16 Milliarden Transistoren. Das Mass an Feinmechanik, das erforderlich ist, um 16 Milliarden Transistoren in etwas einzubauen, das nicht die Grösse mehrerer Häuserblocks hat, geschweige denn in einen Laptop oder ein Smartphone passt, ist eine der beeindruckendsten Leistungen menschlichen Erfindungsreichtums, die die Welt je gesehen hat. Die Kurzfassung der Geschichte ist, dass ein niederländisches Unternehmen, ASML, in den 2000er Jahren in der Lage war, ein grosses Risiko einzugehen – die Entwicklung der Ultraviolett-Lithographie (EUV). EUV war notwendig, da man kürzere Wellenlängen des Lichts verwenden musste, um das Silizium Atom für Atom abzuschaben, und die Transistoren somit klein genug wurden – im Wesentlichen 5 Nanometer. Dieses Licht wird erzeugt, indem ein bestimmter Lasertyp 50’000 Mal pro Sekunde auf geschmolzenes Zinn geblitzt wird. Die Entwicklung von EUV war so kapitalintensiv, dass sie nur von einem einzigen Unternehmen durchgeführt wurde: ASML. Die Komponenten für diese Maschinen, füllen vier Flugzeuge vom Typ Boing 747 (Jumbojet) und werden von bestimmten Unternehmen aus der ganzen Welt bezogen. Der Betrieb der Maschinen in grossem Massstab erfordert ein unglaubliches Mass an Erfahrung. Angesichts des Charakters des Themas haben Sie wahrscheinlich schon die geopolitischen Implikationen erraten. Einige der Komponenten der EUV-Maschinen stammen aus den Vereinigten Staaten. Dann gibt es noch die Beziehungen zwischen der US-Regierung und der Regierung der Niederlande. Aufgrund dieser Gespräche und des aktuellen Stands der Dinge werden keine EUV-Maschinen nach China geliefert.
Chris Gannatti, Global Head of Research, WisdomTreeWir schliessen nicht aus, dass China durchaus in der Lage wäre, seine eigenen Chips herzustellen, aber die Frage ist eher, wie lange das dauern würde und wie fortschrittlich diese Chips sein könnten.
Der Fall Nvidia
Im August 2022 unternahmen die USA einen weiteren Schritt, um Chinas Ambitionen im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) durch weitere Beschränkungen für die Ausfuhr ganz bestimmter Halbleiter zu begrenzen:
- Nvidia darf den A100-Grafikprozessor nicht in China, Hongkong und Russland verkaufen
- Ausserdem wird Nvidia daran gehindert, seine kommenden Grafikchips der H100-Serie auf denselben Märkten zu verkaufen
- Zu den Nutzern der A100 gehören Alibaba, Tencent und Baidu – Unternehmen, die einige der grössten Cloud-Computing-Infrastrukturen Chinas bereitstellen
Nvidia ist das sichtbarste Unternehmen in Bezug auf diese Art von Chips und hatte zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrages die grösste Marktkapitalisierung unter den Halbleiterunternehmen. Es würde uns nicht überraschen, wenn in Zukunft noch weitere Firmen genannt werden könnten, die über Chips mit ähnlichen Fähigkeiten verfügen.
Schlussfolgerung: Kann China einen «Alleingang» wagen?
Wir könnten an diesem Punkt einen Schritt zurücktreten und denken: Moment mal, China verfügt doch über enorme Ressourcen. Warum stellen sie nicht einfach ihre eigenen Chips her? Wir schliessen nicht aus, dass China durchaus in der Lage wäre, seine eigenen Chips herzustellen, aber die Frage ist eher, wie lange das dauern würde und wie fortschrittlich diese Chips sein könnten. Für das EUV-Verfahren waren sowohl massive Investitionen als auch etwa 20 Jahre Produktionserfahrung erforderlich. ASML ist in der Lage, die Maschinen herzustellen und Unternehmen wie TSMC zu unterstützen, die in grossem Massstab tätig sind, denn sie haben den Vorteil, aus allen Fehlern nebenbei zu lernen. China kann sicherlich Anstrengungen auf dem Weg dorthin unternehmen, aber einfach nur Geld ausgeben wird nicht zu einem effektiven EUV-Prozess führen, mit dem die modernsten Chips in grossem Massstab hergestellt werden können – der Schlüssel ist «in grossem Massstab ohne hohe Fehlerquote». In den kommenden vier Jahren bis 2024 werden in China voraussichtlich 31 grosse Halbleiterfabriken fertiggestellt. Bis 2025 werden voraussichtlich 40 Prozent der weltweiten Kapazitäten zur Herstellung von Chips mit 28-Nanometer-Knoten in China liegen. Dies zeigt uns, dass China grosse Investitionen abseits der absoluten Spitze tätigt – und wir dürfen nicht vergessen, dass die Welt auch diese Chips braucht. Es wird für jedes Land sehr schwierig sein, alle Aspekte der Halbleiter-Lieferkette vollständig zu übernehmen, aber wir sehen bemerkenswerte Anstrengungen in diese Richtung im Jahr 2022, die wahrscheinlich weitergehen werden.