Der flügellahme Drache

Kopf in den Sand – So wirkte die Nichtpublikation der chinesischen Konsumentenstimmung und der Jugendarbeitslosigkeit auf die Märkte. Beide Indikatoren waren zum Absetzungszeitpunkt auf einem besorgniserregenden Stand. Dazu kommt ein hohes Deflations-Risiko. Sorgen über den Stand der chinesischen Konjunktur, der mittelfristige Ausblick und strukturelle Herausforderungen von Staat und Unternehmen stehen derzeit im Fokus der Anleger.

Nachdem die Regierung per Januar die Pandemie-Restriktionen aufgehoben hat, waren die Erwartungen gross: Die Rückkehr der chinesischen Konsumenten, der angefeuerte Fabrikmotor und Hoffnungen auf eine Stabilisierung der Immobilienbranche haben für Höhenflüge der Aktienkurse gesorgt. Gekommen ist es anders: Die Stimmung ist schlecht. Der Immobilienmarkt sorgt seit längerer Zeit für betrübliche Nachrichten: Die grossen Entwickler Evergrande und Country Garden sind im oder kurz vor dem Konkurs. Zahlreiche Käufer sitzen zwar auf Schulden, aber nicht in fertiggestellten Wohnungen. Und landesweit stehen Millionen von Wohnungen leer. Die genaue Anzahl ist unbekannt. Ein Think-Tank musste sich kürzlich für die Publikation einer Schätzung entschuldigen.

Die grossen Entwickler Evergrande und Country Garden sind im oder kurz vor dem Konkurs.

Thomas Rühl, Chief Investment Officer, Schwyzer Kantonalbank

Auch die Aussenwirtschaft zeigt Schwächen. Die Importe schrumpfen seit März – teilweise zweistellig; die chinesische Währung, der Yuan, hat sich gegenüber dem US-Dollar seit Jahresbeginn um knapp 6% abgeschwächt. Führende Beobachter haben ihre BIP-Prognosen daher nach unten korrigiert. Die Behörden haben einzelne Gegenmassnahmen ergriffen: Eine (geringe) Leitzinssenkung, tiefere Stempelsteuern, Entlastungen für Kredit- und Hypothekarnehmer und geringere Schuldzinsen. Sie wirken jedoch eher punktuell. Anlegerinnen und Anleger warten weiterhin auf einen Befreiungsschlag. Solange grössere Stimuli ausbleiben, dürfte die Wirtschaft im «Reich der Mitte» weiterhin flügellahm bleiben. Für Firmen mit chinesischer Produktion und Kundschaft bleiben die Aussichten durchzogen. Bei entsprechenden Anlagen ist Geduld gefragt.

In der westlichen Hemisphäre haben sich die Aussichten dagegen etwas verbessert: Die Anzeichen verdichten sich, dass die US-Zinsen «oben angekommen» sind. Europas Industrie ist im Stimmungstief, der etwas dynamischere Dienstleistungssektor und Anzeichen einer deutlich tieferen Teuerung könnten jedoch für Entlastung sorgen. Wir haben unsere Anlagetaktik gleich belassen und verfolgen die «sanfte Landung» der Wirtschaft weiterhin mit Spannung.

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