Die Schweizer Industrie zwischen Rezession und zunehmendem Protektionismus

Die Schweizer Industrie durchläuft eine Rezession, die an die Situation Anfang der 2000er-Jahre erinnert. Damals kamen ihr der Boom in China und der schwache Franken zu Hilfe. Heute haben die geopolitischen Spannungen zu einer Zunahme des Protektionismus geführt und der Franken hat sich deutlich aufgewertet. Vor diesem Hintergrund ist nicht mit einer schnellen Erholung des verarbeitenden Gewerbes in der Schweiz zu rechnen und ein Abbau von Arbeitsplätzen erscheint unvermeidlich.

Der Schweizer Einkaufsmanagerindex für die Industrie (PMI), den das Chief Investment Office von UBS zusammen mit procure.ch regelmässig veröffentlicht, weist über die letzten zwölf Monate einen Rückgang der Geschäftstätigkeit im verarbeitenden Gewerbe aus. Ausschlaggebend hierfür war die schwache Nachfrage aus dem Ausland. Tatsächlich ist das Exportbarometer von UBS, das die Nachfrage nach Schweizer Produkten durch ausländische Geschäftspartner misst, auf einem Stand, der bisher immer mit einer Export-Baisse einherging.

Gemäss dem 'Economic Complexity Index' (ECI) der Harvard Kennedy School of Government belegt die Schweiz bezüglich der Komplexität ihrer Exportprodukte hinter Japan den zweiten Platz.

UBS Outlook Schweiz

Die inländische Industrieproduktion wird zusätzlich dadurch verlangsamt, dass die Unternehmen ihre Lagerbestände abbauen wollen. «Die Konjunkturindikatoren haben ein Niveau erreicht, das in der Vergangenheit immer einem Verlust von mindestens 5’000 Arbeitsplätzen im Industriesektor entsprach», erläutert UBS-Ökonom Alessandro Bee.

Die Inflation hindert die SNB daran, gegen die Aufwertung des Frankens vorzugehen
Die Perspektiven der Schweizer Exportwirtschaft haben sich durch die schnelle Frankenaufwertung Ende des vergangenen Jahres zusätzlich verschlechtert. Obwohl die Inflation wieder gesunken ist und damit zur Preisstabilität beiträgt, erlaubt sie der Schweizerischen Nationalbank (SNB) noch nicht, entschieden gegen die Frankenstärke vorzugehen. Die SNB dürfte ihre Devisenverkäufe eingestellt haben, einen Rückgang der Leitzinsen erwarten die Ökonomen von UBS jedoch frühestens im Juni.

Keine Impulse für die MEM-Industrie in Sicht
Bestimmte Exportsektoren reagieren empfindlicher auf Konjunkturzyklen und Wechselkursänderungen als andere. Dazu zählt die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM), eine der grössten Arbeitgeberinnen der Schweizer Industrie. Die Exporte dieser Branchen dürften sich in den nächsten Quartalen kaum erholen. Die Ökonomen von UBS erwarten in der Eurozone, dem wichtigsten Handelspartner der Schweiz, ein schwaches Wachstum und einen stabilen Wechselkurs des Frankens zum Euro. Die Exporte der Chemie- und Pharmaindustrie, die insgesamt die Hälfte der Schweizer Exporte in die Eurozone ausmachen, dürften dagegen ungeachtet der Aufwertung des Schweizer Frankens weiterwachsen.

Neue protektionistische Massnahmen betreffen zwei Drittel der Exporte
Zu den konjunkturellen und geldpolitischen Herausforderungen kommen nun auch noch geopolitische Spannungen hinzu. Während der Welthandel in den 2000er-Jahren noch deutlich zugenommen hat, stagniert der Globalisierungsprozess seit der weltweiten Finanzkrise. Stattdessen werden infolge von Handelsstreitigkeiten und bewaffneten Konflikten in den letzten Jahren weltweit immer mehr Handelsbarrieren errichtet. «Seit dem Ende der weltweiten Finanzkrise waren etwa zwei Drittel der Schweizer Exporte von protektionistischen Massnahmen unserer Handelspartner betroffen», schätzt UBS-Ökonom Maxime Botteron. Am stärksten betroffen waren unter anderem die Nahrungsmittel- und die Metallindustrie. Andererseits wurde rund ein Drittel der Schweizer Exporte durch Massnahmen zur Liberalisierung des Handels begünstigt. Dazu zählen Maschinen, medizinische Geräte und Präzisionswerkzeuge sowie bestimmte pharmazeutische Produkte.

Komplexität der Produkte und Innovation
In diesem schwierigen Umfeld müssen Schweizer Unternehmen auf ihre Innovationskraft und die Komplexität ihre Produkte zählen. In diesen Feldern ist die Schweizer Wirtschaft nämlich weltweit führend. Gemäss dem «Economic Complexity Index» (ECI) der Harvard Kennedy School of Government belegt die Schweiz bezüglich der Komplexität ihrer Exportprodukte hinter Japan den zweiten Platz. Insbesondere pharmazeutische Produkte, Maschinen und Präzisionswerkzeuge erreichen nach dieser Klassifizierung eine hohe Punktzahl. Gleiches gilt für Mikrochips, auch wenn die Schweiz in diesem Bereich weltweit keine grosse Rolle spielt. Die Nachfrage nach diesen Produkten ist jedoch stark gestiegen, insbesondere im Zuge des Booms der Künstlichen Intelligenz sowie der zunehmenden Rückverlagerung von Produktionsstätten aus Asien nach Europa oder in die USA. Vor diesem Hintergrund sind die Exporte von Mikrochips stark gestiegen und liegen nun über einer Milliarde Franken.

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