Weltwirtschaft: Auf die Art des Schocks kommt es an
Die Weltwirtschaft hat in den vergangenen 40 Jahren mehrere Schocks erlebt. Die aktuelle Situation ist jedoch schwieriger als frühere Krisen.
Die 80er und 90er Jahre brachten einige turbulente wirtschaftliche Perioden mit sich. Es sind aber die Jahre von der Jahrtausendwende bis heute, die mit Blick auf Wirtschaftskrisen hervorstechen. Angefangen hat es mit der Dotcom-Blase und den geopolitischen Umwälzungen nach dem 11. September. Es folgte die grosse Finanzkrise 2007/08, der Brexit und die Corona-Pandemie. Aktuell beunruhigt der Krieg in der Ukraine und die massiv gestiegenen Lebenserhaltungskosten.
Verschiedene Arten von Schocks
Es gibt zwei Typen von Schocks, die die Wirtschaft erschüttern können: der Angebots- und Nachfrageschock. Die Finanzkrise von 2007/08 drückte auf die Nachfrage, die im Anschluss im gesamten Nordatlantikraum für lange Zeit schwächelte. Bei solchen Nachfrageschocks ist es einfacher, bestimmte Wirtschaftsindikatoren zu prognostizieren. Zum Beispiel, dass das BIP und die Inflation danach länger niedrig bleiben würden. Bei der Corona-Pandemie waren sowohl das Angebot als auch die Nachfrage betroffen. Die Geschwindigkeit der Erholung war zu Beginn aber noch nicht klar. Es war offen, ob sich die Konjunktur nach dem Abklingen des Schocks – anders als bei der Finanzkrise – schnell erholen würde.
Shamik Dhar, Chief Economist, BNY Mellon Investment ManagementDie kommenden ein bis zwei Jahre dürften schwierig bleiben.
Die aktuelle Situation belastet eindeutig das Angebot. Die russische Invasion kam überraschend und setzte die Weltwirtschaft unter Druck, deren Produktivitätswachstum bereits geschwächt war. Hinzu kommt eine Reihe bedeutender struktureller Veränderungen, etwa auf dem Arbeitsmarkt, die Umstellung auf Netto-Null-Emissionen, die Digitalisierung und das geopolitische Umfeld. All diese strukturellen Veränderungen finden eher im Hintergrund statt. Anleger sollten sie im Auge behalten, ebenso wie die unmittelbaren Auswirkungen dieser Schocks. Das macht die heutige Situation komplexer und schwieriger, als das in früheren Krisen der Fall war.
Wie hoch steigt die Inflation?
Die wirtschaftlichen Probleme der 70er, 80er und 90er Jahre sind weitgehend auf die steigenden Lebenshaltungskosten zurückzuführen. 15 Jahre Erfahrung mit Inflationszielen sollten den Notenbanken nun aber zum Vorteil gereichen. Sie werden auch nicht die Fehler der 1970er-Jahre wiederholen. Aber – die kommenden ein bis zwei Jahre dürften schwierig bleiben. Die Ursache für die derzeitige Situation liegt aber nur zum Teil in einer Fehldiagnose der Zentralbanken bezüglich der längerfristigen Auswirkungen der Pandemie – zumindest im Falle der Fed und der BoE. Während des gesamten Jahres 2020 und Anfang 2021 gingen die meisten Notenbanken und Ökonomen davon aus, dass es lange dauern würde, bis sich die Weltwirtschaft wieder erholt und dass umfangreiche fiskalische Unterstützungen erforderlich sind. Das war jedoch eine Fehleinschätzung, die dazu geführt hat, dass die Geldpolitik länger als nötig so locker wie möglich gehalten wurde. Ja, die derzeitige Inflation und die Krise der Lebenshaltungskosten sind die Folgen des Krieges zwischen Russland und der Ukraine. Ein Teil der aktuellen Probleme sind aber auch auf die Fehleinschätzung des Fed zurückzuführen. Die Inflation dürfte wahrscheinlich weltweit wieder sinken, aber die entscheidende Frage ist, auf welchem Niveau sie sich stabilisiert und ob sie mit den Inflationszielen der Zentralbanken vereinbar ist. Möglicherweise müssen die Notenbanken die Zinsen weiter anheben, selbst wenn das in eine Rezession führt.
Rezession sehr wahrscheinlich
Mit Blick auf eine mögliche Konjunkturabschwächung ist eine Rezession in den grossen Volkswirtschaften – USA, Vereinigtes Königreich, Japan und Eurozone – aus zwei Gründen wahrscheinlich: Erstens ist es der Anstieg der Energiepreise und die damit verbundene Verteuerung der Lebenshaltungskosten, die auf der Nachfrage lasten. Zweitens drückt der Zinsanstieg und die zur Eindämmung der Inflation erforderliche Straffung der Geldpolitik auf die Finanzmärkte, das Sentiment und die Konjunktur.