CFO-Umfrage: Getrübte Aussichten für die Schweizer Wirtschaft – Risiko einer Stagflation steigt

Schweizer Unternehmen beurteilen die Konjunkturaussichten für die Schweiz deutlich schwächer als vor einem halben Jahr. Ein Einbruch der Wirtschaft steht uns laut einer aktuellen CFO-Umfrage aber noch nicht bevor.

Bauchschmerzen bereiten vor allem die direkten und indirekten Folgen der geopolitischen Entwicklungen: Inflation, Engpässe in der Lieferkette und bei der Energieversorgung – und auch Deutschland und China werden sorgenvoll betrachtet. Das zeigt eine aktuelle CFO-Umfrage von Deloitte. Die Befragten gehen zudem von einer noch moderaten Inflation aus und erwarten einen weiter steigenden Leitzinssatz. Die finanziellen Aussichten für das eigene Unternehmen über die nächsten 12 Monate beurteilt eine Mehrheit als positiv.

Es fällt vor allem auf, wie oft China als Region mit erhöhten geopolitischen Risiken genannt wird.

Reto Savoia, CEO Deloitte Schweiz

Die geopolitische Situation und ihre direkten und indirekten Folgen zeigen deutlichen Einfluss auf die Stimmungslage bei den Schweizer Unternehmen. Die Aussichten für die Schweizer Volkswirtschaft für die nächsten zwölf Monate sind deutlich getrübt. Vor sechs Monaten gingen noch 22 Prozent der vom Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte befragten CFOs von einem deutlichen Wachstumsrückgang aus, in der aktuellen Umfrage sind es bereits 37 Prozent. Dies bringt eine Besorgnis zum Ausdruck, ist aber noch kein eigentlicher Einbruch. Im Vergleich mit wichtigen Handelspartnern steht die Schweiz noch gut da. Während die Einschätzung für die USA vergleichbar mit den Erwartungen für die Schweiz ausfällt, sind die Perspektiven der befragten Schweizer CFOs für Deutschland zutiefst pessimistisch. 77 Prozent gehen von negativen Entwicklungen bei unserem nördlichen Nachbarn aus. Selbst für das lange Zeit mit grosser Euphorie betrachtete China geht eine klare Mehrheit (64%) der befragten Finanzchefs von einer negativen Entwicklung aus – und dies von einem bereits markant tieferen Wachstumsniveau als in den vergangenen Jahren aus betrachtet.

Viele Unternehmen rechnen trotzdem mit Umsatzwachstum
Im Drei-Monats-Vergleich sind die Beurteilungen der CFOs des eigenen Unternehmens ebenfalls deutlich zurückgegangen. Eine Mehrheit von ungefähr einem Drittel sieht eine Verschlechterung der finanziellen Aussichten im Vergleich zur Beurteilung vom Juni. Immerhin: Beim Ausblick auf die nächsten 12 Monate geht weiterhin eine Mehrheit von 17% (44% positiv, 27% negativ, Rest neutral) davon aus, dass sich ihr Unternehmen positiv entwickeln wird. Eine deutliche Mehrheit der Befragten erwartet weiterhin wachsende Umsätze, für alle abgefragten Unternehmenskennzahlen ist der Trend jedoch rückläufig im Vergleich zur Frühlingsumfrage. Schweizer Unternehmen wollen mehrheitlich auch in den kommenden 12 Monaten ihren Investitionsaufwand und die Anzahl der Beschäftigten erhöhen, aber mit deutlich mehr Vorsicht. Der Margendruck nimmt zu und das Kostenbewusstsein steigt.

Knappheit und Preissteigerungen bereiten Sorge
In den Köpfen der CFOs von Schweizer Unternehmen sind zwei Themen omnipräsent: Knappheit und Preissteigerungen. Als grösstes Risiko sehen sie aktuell die Inflation. Hingegen findet sich die Nummer 1-Sorge der letzten Umfrage – abstrakte «geopolitische Risiken» – dieses Mal auf Rang 7. Sie wurde abgelöst von den konkreten direkten oder indirekten Folgen der geopolitischen Situation: Neben der Inflation sind das Lieferkettenprobleme, Rohstoff- und Energiepreise sowie – neu in den Top 10 – die Sorge vor einem Energiemangel. Dazu gesellen sich eine drohende Nachfrageschwäche und der Arbeitskräftemangel.

China: Vom Wachstumsmotor zum Risikofaktor?
Um den geopolitischen Risiken entgegenzuwirken, fokussieren sich laut der Umfrage knapp 40% der Schweizer Unternehmen auf eine Diversifikation der Wertschöpfungsketten. Über ein Viertel der befragten CFOs wollen ihre Präsenz in Märkten mit verstärkten geopolitischen Risiken reduzieren (28%) oder sich sogar komplett daraus zurückziehen (9%). Dazu zählen sie Russland, die Ukraine, Belarus – und auch China. Reto Savoia, CEO Deloitte Schweiz: «Es fällt vor allem auf, wie oft China als Region mit erhöhten geopolitischen Risiken genannt wird. China wird zunehmend bleibt für die hiesige Wirtschaft sehr wichtig, aber der lange Zeit unerschütterliche Ruf als Wachstumsmotor für die Schweizer Exportwirtschaft und zuverlässiger Lieferant von zunehmend hochwertigen Produkten gerät ins Wanken.»

Die befragten CFOs erwarten durchschnittlich eine weitere Erhöhung des Leitzinssatzes durch die Schweizerische Nationalbank auf 1,3 Prozent in den nächsten 24 Monaten. In diesem Licht gehen Schweizer Unternehmen von einer zwar über dem Zielband liegenden, aber vergleichsweise moderaten Inflation von 2,4 Prozent in zwei Jahren aus. Für die nächsten 12 Monate stehen die Inflationserwartungen bei 3 Prozent – was einem Rückgang zum heutigen Niveau entsprechen würde – bei gleichzeitig erwarteten Lohnsteigerungen in ähnlichem Umfang. Gleichzeitig zeigt sich, dass Massnahmen zur Abfederung der Inflationsfolgen Grenzen gesetzt sind: Etwa ein Drittel der Unternehmen gibt an, die gestiegenen Kosten zu einem «grossen Teil» an Kunden weitergeben zu können. Weitere Massnahmen, um die Inflation abzufedern, beispielsweise die Reduktion des Energieverbrauchs oder die Diversifikation des Angebots, streben noch weniger Unternehmen in grossem Umfang an. Alessandro Miolo, Managing Partner Audit & Assurance bei Deloitte, betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Schweizerischen Nationalbank: «Die SNB muss weiterhin entschlossen handeln, selbst wenn die Europäische Zentralbank zögern sollte. Es besteht sonst die Gefahr, dass sich die Inflation in einer Lohn-Preis-Spirale verfestigt. In Kombination mit der erwarteten Wachstumsschwäche könnten wir in eine Stagflation rutschen».

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