Sustainable Finance vor der Bewährungsprobe in einer sich wandelnden Weltordnung

Bis vor Kurzem war Sustainable Finance eine umfassende Erfolgsgeschichte. Während die Wirtschaft und die Finanzmärkte prosperierten und die Unternehmen über reichlich Liquidität verfügten, boomten auch die nachhaltigen Investitionen. Selbst der brutale, aber im Grossen und Ganzen kurzlebige Schock der Covid-19-Pandemie konnte diese Entwicklung nicht aufhalten.

Die eigentliche Bewährungsprobe für eine nachhaltig orientierte Finanzwirtschaft steht allerdings erst jetzt bevor, wie SFI-Professor Alexander Wagner von der Universität Zürich in einer vielbeachteten SFI Public Discussion Note (PDN) unter dem Titel «Sustainable Finance in einer sich wandelnden Weltordnung» konstatiert.

Werden nachhaltige Investitionen weiterhin wohlwollende Aufmerksamkeit auf sich ziehen, wenn es zu einem schweren Konjunkturabschwung kommt? Die Marktreaktionen auf den Krieg zwischen Russland und der Ukraine zeigen die schwierigen Entscheidungen, die anstehen. Dabei sind nachhaltige Anlagen nicht immer ein Erfolg: Viele dieser Strategien haben in der ersten Hälfte des Jahres 2022 schlecht abgeschnitten. Sie verpassten, beinahe per Definition, die Rallye der Energie-Titel und erlitten gleichzeitig Verluste, weil sie in Technologie-Aktien übergewichtet sind, und diese einen starken Rückgang verzeichneten.

Wir müssen bescheiden sein und bei der Beurteilung der wichtigsten Dimensionen der Nachhaltigkeit, auf die wir uns konzentrieren sollten, anerkennen, dass wir nicht alles wissen.

Alexander Wagner, SFI-Professor, Universität Zürich

Es ist an der Zeit, Bilanz zu ziehen und eine Neubewertung vorzunehmen. Können wir davon ausgehen, dass sich die bisherigen Trends bei nachhaltigen Investitionen in den kommenden Jahren fortsetzen oder sogar beschleunigen? Werden sie pausieren oder erleben wir gar eine Trendwende, wenn andere, unmittelbarere Bedürfnisse wie die Energiesicherheit wichtiger werden? Sind unternehmerische Verantwortung auf der einen Seite und der Fokus der Anleger auf ESG-Qualität auf der anderen Seite Luxusgüter? Oder wird Sustainable Finance in Krisenzeiten besonders relevant?

In seiner Analyse kommt SFI-Professor Alexander Wagner, basierend auf den neuesten Forschungsergebnissen, u.a. zu folgenden Rückschlüssen:

  • Bestimmte Auswahlmethoden können zwar risikoarme nachhaltige Anlagen identifizieren, aber ein Portfolio, das solche Anlagen kombiniert, kann aufgrund des Diversifikationsverlustes ein relativ hohes Risiko aufweisen. Daher kann man zu falschen Schlussfolgerungen gelangen, wenn man nur darauf achtet, ob eine einzelne nachhaltige Anlage besser abschneidet als eine andere. Eine Portfolio-Gesamtbetrachtung ist unerlässlich.
  • Die ersten Kursreaktionen auf den Russland­Ukraine­Krieg deuten darauf hin, dass Anleger davon ausgehen, dass sich der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft in den USA deutlich verlangsamen, in Europa hingegen stabil bleiben oder sich beschleunigen wird. Es bleibt abzuwarten, ob das kürzlich verabschiedete amerikanische Gesetz zur Bekämpfung der Inflation (U.S. Inflation Reduction Act) die Problematik unterschiedlicher Geschwindigkeiten beim Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft aufheben kann.
  • Derzeit existierende ESG-Bewertungsmethoden sind nicht in der Lage, zuverlässig Unternehmen zu identifizieren, die gegen alle Krisen gewappnet sind. Zwar zeigen einige Studien, dass Unternehmen mit guten ESG-Ratings zu Beginn der COVID-19-Krise gut abschnitten, jedoch erklären ESG-Scores nicht die Performance globaler Aktien in den Tagen nach dem Ausbruch des Russland-Ukraine-Kriegs.

Die detaillierte Public Discussion Note «Sustainable Finance in einer sich wandelnden Weltordnung» von SFI-Professor Alexander F. Wagner findet sich hier.

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