Divergierende Dynamiken: Die USA lockern, Europa stabilisiert

Seit dem 1. Oktober sind die US-Bundesbehörden wegen eines Haushaltsstreits zwischen Demokraten und Republikanern lahmgelegt. Dadurch fehlen zentrale Wirtschaftsstatistiken wie der Arbeitsmarktbericht des BLS oder das BIP für das dritte Quartal. Der verspätet veröffentlichte Inflationsbericht für September lag leicht unter den Erwartungen – was die Entscheidung der Fed, den Lockerungszyklus fortzusetzen, zusätzlich stützte.

Die Fed senkte den Leitzins auf 3,75 bis 4,00% und kündigte das Ende des «Quantitative Tightening»-Programms an, das seit Juni 2022 lief. Ab 1. Dezember sollen die Bestände der Notenbank stabilisiert werden. Jerome Powell signalisierte zudem eine mögliche Wiederaufnahme des Bilanzwachstums – ein Hinweis auf die zunehmende Liquiditätsknappheit am Repo-Markt, wo kurzfristige Finanzierungssätze zuletzt über dem oberen Zielband der Fed Funds lagen. International verschärften sich die Spannungen zwischen den USA und China, nachdem die Trump-Regierung die Zollaussetzung auslaufen liess und Peking im Gegenzug Exportbeschränkungen für seltene Erden ankündigte. Angesichts Chinas dominanter Position (70% der Produktion, 90% der Raffinierung) ein geopolitisch brisantes Thema. Bei einem Treffen in Seoul einigten sich beide Seiten auf einjährige Aufschubmassnahmen und eine teilweise Senkung von US-Zöllen, insbesondere im Bereich Fentanyl – ein diplomatischer Teilerfolg mit Signalwirkung für den AI-Sektor.

Die zehn grössten Unternehmen des S&P 500 repräsentieren nun über 40% der gesamten Marktkapitalisierung und rund 32% der erwarteten Gewinne – ein klares Zeichen für die zunehmende Polarisierung des US-Marktes.

Mabrouk Chetouane, Head of Global Market Strategy, Natixis IM

Trotz des Shutdowns in den USA zeigen Konjunkturumfragen eine allmähliche Abschwächung, insbesondere bei Auftragseingängen und Beschäftigungskomponenten der ISM-Indizes. Das Konsumentenvertrauen (University of Michigan) fiel auf den niedrigsten Stand seit Juni 2022. In Europa bleibt das Bild gemischt: Spanien und Italien überzeugen mit Wachstum, getragen vom Dienstleistungssektor, während Frankreich mit Doppelkontraktion (Industrie und Dienstleistungen) heraussticht und laut S&P Global die Erholung der Eurozone bremst. Deutschland erholt sich leicht (PMI gesamt: 53,8). Das BIP Spaniens stieg im dritten Quartal um 0,6%, Frankreich um 0,5%, getragen von Investitionen und Exporten, während Deutschland und Italien stagnierten. Die EZB beliess ihre Zinsen unverändert, betonte aber eine Verbesserung des Risikoausblicks – vor allem bei Wachstum und Inflation, die sich nahe am 2%-Ziel stabilisiert.

Geteiltes Wachstum: Amerikas Tech-Rally trifft Europas Rohstoff-Revival
Die US-Börsen erreichten neue Rekorde, angetrieben durch Technologie- und KI-Titel. Seit September verzeichneten über 50% der S&P 500-Sitzungen und über 60% der Nasdaq-Sitzungen neue Höchststände. Der S&P 500 stieg im Oktober um 2,3%, der Nasdaq 100 um 4,8%. Sieben der zehn Sektoren blieben jedoch zurück – besonders Materialien, Finanzwerte, Konsumgüter und Energie. Bemerkenswert: Die Marktperformance ist stark konzentriert. Die zehn grössten Unternehmen des S&P 500 repräsentieren nun über 40% der gesamten Marktkapitalisierung und rund 32% der erwarteten Gewinne – ein klares Zeichen für die zunehmende Polarisierung des US-Marktes. Auf den Rentenmärkten gaben die Renditen leicht nach: Die US-10-Jahresrendite fiel um 7 Basispunkte auf 4,08%, der Bund um 8 Bp. auf 2,63%. Der Spread zwischen OAT und Bund engte sich auf 79 Bp. ein – nach der politischen Stabilisierung in Frankreich (Wiederernennung von Sébastien Lecornu als Premierminister). In Europa stieg der Stoxx Europe 600 um 2,6%, mit FTSE 100, OMX Kopenhagen und OMX Stockholm als Spitzenreitern. Besonders stark: Versorger, Energie und Rohstoffe (+5,8% bis +7,5%), gestützt durch den Anstieg der Industriemetalle (Aluminium +7,6%, Kupfer +4,8%). Schwach blieben Automobil- und Chemiewerte, weiterhin belastet durch Überkapazitäten und schwache Exportnachfrage. Gold und Silber legten um 3,7% bzw. 4,4% zu, trotz einer deutlichen Korrektur Mitte Oktober – ein Zeichen für anhaltende Absicherungstendenzen.

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