Stehen Schweizer Krankenversicherungen 2023 vor dem Kollaps?

Das Schweizer Gesundheitswesen steht vor grossen Herausforderungen: steigende Gesundheitskosten, Fachkräftemangel, Zusatzversicherungen unter Druck von verschiedenen Seiten und zusätzlich sinkende Margen. Der Markt der Krankenversicherer bewegt sich gleichermassen dynamisch und die Prämienschübe in der Grundversicherung um bis zu 6,6% für 2023 führten zu vermehrten Versicherungswechseln. Es entstehen neue Vertriebsstrukturen und -kooperationen. In einer Trend-Analyse identifiziert PwC Schweiz unter dem Titel «Das bewegt die Schweizer Krankenversicherer» sechs zentrale Markttrends und liefert konkrete Handlungsempfehlungen für Krankenversicherer.

Die FINMA hat 2021 das Rundschreiben zur Krankenversicherung nach dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) revidiert, um Ungleichbehandlungen zum Schutz von Versicherten zu begrenzen. Dies fordert die Krankenversicherer heraus. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen gehen die Autoren davon aus, dass der Prämienreduktionsdruck bei Spitalzusatzversicherungen anhalten wird. Da die Leistungskosten weiter steigen, der Prämienanstieg aber limitiert ist, dürften die Gewinnmargen ambulanter Produkte ohne zusätzliche Massnahmen zudem weiter erodieren. Doch die Prämien und damit die Gewinnmargen der Krankenversicherer werden sich reduzieren. Dieser Rückgang beträgt bis zu 94 Millionen Franken pro Jahr, was mehr als einem Drittel des technischen Ergebnisses bzw. der «Marge» entspricht. Leistungserbringer und Krankenversicherer sind hier gefragt, gemeinsam neue und innovative Lösungen entsprechend der Bedürfnisse der Versicherten und Patienten zu entwickeln.

Weg von «Krankheiten behandeln», hin zu «Gesundheit fördern»
Die Gesundheitsversorgung verschiebt sich zunehmend von der Behandlung von Krankheiten hin zu Prävention und früher Intervention. Dazu werden Gesundheitslösungen stärker in den Alltag integriert werden. Dieser Wandel bietet Chancen: Über die Prävention könnten die Versicherer Kundenbeziehungen stärken und das Zusatzversicherungsgeschäft ausbauen. «Der Krankenversicherer der Zukunft ist kundenzentriert, digital bewandert und agiert als vertrauensvoller Gesundheitspartner», so David Roman, Director und Leiter Beratung Krankenversicherungen und Digital Health bei PwC Schweiz. «Als solcher hilft er mit, das Gesundheitswesen der Schweiz aktiv, nachhaltig und zukunftsfähig zu gestalten.»

Gerade kleine und mittlere Krankenversicherer mit attraktiven Prämien und demzufolge einem hohen Kundenzuwachs könnten durch die zusätzlichen Kosten finanziell unter Druck geraten.

Philip Sommer, Leiter Beratung Gesundheitswesen, PwC Schweiz

Marktkonsolidierung ist überfällig
Aktuell sind rund 50 Krankenversicherer in der Schweizer Grundversicherung tätig. In den letzten Jahren fanden kaum nennenswerte Fusionen oder Übernahmen statt. Grund dafür ist die mangelnde Bereitschaft potenzieller Verkäufer. Einerseits scheinen die Entscheidungstragenden einen Verkauf (noch) nicht als variable Option zu betrachten. Andererseits sind viele Krankenversicherer als Stiftungen organisiert, wodurch Transaktionen komplexer werden. Auf der Käuferseite wäre durchaus Interesse vorhanden, insbesondere bei den grossen und führenden Krankenversicherern. Mit Übernahmen könnten sie ihre geografische Präsenz stärken, Skaleneffekte realisieren und nicht zuletzt ihre Führungsposition sichern. «In Zukunft wird eine Konsolidierung stattfinden», sagt Philip Sommer, Leiter Beratung Gesundheitswesen bei PwC Schweiz. «Gründe dafür sind unter anderem, dass kleine und mittlere Krankenversicherer Schwierigkeiten haben werden, die Kosteneffizienz und die Solvenz weiterhin sicherzustellen und die notwendigen finanziellen Investitionen in die Digitalisierung zu tätigen.» Zudem haben die Prämienerhöhungen für 2023 zu vielen Wechseln geführt. Gerade kleine und mittlere Krankenversicherer mit attraktiven Prämien und demzufolge einem hohen Kundenzuwachs könnten durch die zusätzlichen Kosten finanziell unter Druck geraten.

Die Digitalisierung revolutioniert die Customer Journey
Die Digitalisierung ist in Zukunft erfolgsentscheidend. Doch nicht alle Versicherer priorisieren sie gleich hoch. Bisher haben sie primär die Prozesse im Backoffice digitalisiert und automatisiert, um an Effizienz zu gewinnen. Krankenversicherer werden die Digitalisierung allerdings auch nutzen, um den Kundenservice zu verbessern und die Produktentwicklung zu fördern. In erfolgreichen Ansätzen belohnen Versicherer ihre Kunden für eine gesunde Lebensweise digital via Apps und Gamification mit Rabatten und Gutscheinen. Doch kaum ein Versicherer hat bisher den Schritt in die vollständig digitale Welt gewagt, da persönliche Interaktionen noch immer einen hohen Stellenwert haben und die technischen Hürden schwierig zu überwinden sind.

Kaum ein Versicherer hat bisher den Schritt in die vollständig digitale Welt gewagt, da persönliche Interaktionen noch immer einen hohen Stellenwert haben und die technischen Hürden schwierig zu überwinden sind.

Philip Sommer

Krankenversicherungen sollten umfassende Nachhaltigkeit in ihrer Strategie verankern
In Sachen Nachhaltigkeit hinken Krankenversicherungen anderen Branchen stark hinterher. Der Druck steigt, Nachhaltigkeitsziele auszusprechen. Zahlreiche Versicherer fokussieren sich vorwiegend auf die soziale Gleichstellung wie die Prävention oder der Zugang zu Versorgung. Im Umweltaspekt liegt der Fokus auf Immobilien. Noch nicht verbreitet sind Nachhaltigkeitsziele bei den Kapitalanlagen. Die analysierten Krankenversicherer setzen sich keine zeitgebundenen Klimaziele. Dennoch beurteilen 75% der Teilnehmenden die Einbettung von Nachhaltigkeit in der Strategie als sehr relevant.

Die detaillierte Trend-Analyse «Das bewegt die Schweizer Krankenversicherer» von PwC Schweiz findet sich hier.

Hauptbildnachweis: Pixabay