Schweizer Immobilienmarkt: Kaufen ist derzeit teurer als Mieten – aber wohl nicht mehr lange
Die Abschwächung der Preisdynamik am Markt für selbstgenutztes Wohneigentum hat sich gegen Ende des letzten Jahres fortgesetzt. Innerhalb von zwei Jahren hat sich das Preiswachstum mehr als halbiert, was auf eine verminderte Nachfrage seit der Zinswende zurückzuführen ist. Dennoch lassen sich auch erste Zeichen einer Stabilisierung des Abkühlungsprozesses erkennen.
Das Überschreiten des Zinsgipfels hat die Verunsicherung auf Käuferseite etwas reduziert. Ob das Preiswachstum im Verlauf des Jahres in den negativen Bereich rutschen wird, steht auf Messers Schneide. Es werden deutlich mehr Objekte zum Verkauf ausgeschrieben als während der Pandemie. Dabei klaffen die Preisvorstellungen von Verkäufern und Käufern oftmals auseinander, da erstere an ihren Preisvorstellungen festhalten. Dies manifestiert sich in einer höheren Insertionsdauer sowie einer spürbar abnehmenden Zahl von tatsächlichen Handänderungen. «Mit den gestiegenen Zinsen haben die finanziellen Anreize Eigentum zu erwerben abgenommen, denn Kaufen ist derzeit teurer als Mieten. Dieser Zustand wird sich aber wohl als ein kurzes Intermezzo entpuppen. Mit der Aussicht auf sinkende Leitzinsen ab der zweiten Jahreshälfte sowie stark steigenden Mieten dürfte der Wohnkostenvorteil im Eigenheim mittelfristig wieder zurückkehren», erklärt Fredy Hasenmaile, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz.
Düstere Aussichten für Mieter
Die Schweizer Bevölkerung wächst mit hoher Kadenz, getrieben von der Zuwanderung, die im letzten Jahr einen Rekord von rund 100'000 ausländischen Nettozuwanderern verzeichnete. Damit wächst auch die Wohnraumnachfrage ausgerechnet in einer Phase, in der die Produktion neuer Wohnungen auf dem tiefsten Stand seit 20 Jahren verharrt. In immer mehr Regionen akzentuieren sich die Knappheitserscheinungen. So hat sich schweizweit die Zahl ausgeschriebener Objekte in nur eineinhalb Jahren halbiert. Das Jahreswachstum der Mietpreise hat sich dagegen im Schnitt auf 4,7 Prozent beschleunigt. Die Überschussleerstände der letzten Dekade sind langsam abgebaut, daher bleibt vielen Mietenden nur noch, tiefer in die Tasche zu greifen. Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche und rapide steigende Neumieten werden auf dem Mietwohnungsmarkt noch eine Weile Realität bleiben.
Fredy Hasenmaile, Raiffeisen-ChefökonomMit den gestiegenen Zinsen haben die finanziellen Anreize Eigentum zu erwerben abgenommen, denn Kaufen ist derzeit teurer als Mieten. Dieser Zustand wird sich aber wohl als ein kurzes Intermezzo entpuppen.
Trotzdem sind bauseitig weiterhin keine Reaktionen auszumachen. «Offensichtlich sind die Investitionsperspektiven noch immer nicht ausreichend, um die herrschenden strukturellen Probleme der Wohnraumversorgung in Form von akuter Baulandknappheit und schleppender Verdichtung zu überwinden. Das Mietpreiswachstum wird auf absehbare Zeit das allgemeine Preiswachstum übersteigen, obwohl die Zinsen bereits wieder am Sinken sind», prognostiziert Fredy Hasenmaile. Einzig für die Bestandesmieter gibt es gute Nachrichten. Dank jüngst erklommenem Zinsgipfel und Aussichten auf baldige Leitzinssenkungen dürfte der Anstieg des hypothekarischen Referenzzinssatzes vom letzten Dezember der vorläufig letzte gewesen sein.
Groteske Fehlallokation
Das geltende Mietrecht friert die Mieten auf dem Abschlusspreis ein und lässt nur wenige Gründe für Anpassungen zu. Diese Regelung schützt zwar einseitig die Bestandesmieter vor höheren Kosten, bewirkt jedoch über die Zeit eine immer stärkere Entkoppelung der Angebotsmieten von den Bestandesmieten. Das bleibt nicht ohne Nebenwirkungen: Die insbesondere in den Zentren ausgeprägten Preisdifferenzen generieren Fehlanreize, indem Haushalte für eine Wohnflächenreduktion bestraft statt belohnt werden. Bereits nach kurzer Mietdauer kostet ein Wechsel in eine etwas kleinere Wohnung zur Neumiete mehr als die bisherige Bestandesmiete. Folglich bleiben Wohnungsverkleinerungen aus. «Vor allem Seniorenhaushalte leben häufig in für ihre Bedürfnisse zu grossen Wohnungen. Mehr als die Hälfte der über 60-jährigen Mieter haben mindestens zwei Zimmer mehr als Haushaltsmitglieder», sagt Hasenmaile. Solche Haushalte werden zudem immer zahlreicher, weshalb der durchschnittliche Wohnflächenverbrauch pro Kopf fortlaufend ansteigt – aktuell liegt er bei 46,6m². Gleichzeitig wächst die Zahl der Haushalte, die sich in überbelegten Wohnungen zusammenpferchen müssen. Die Fehlanreize fördern überdies Leerkündigungen und eine zu tiefe Mietermobilität.
Fredy HasenmaileVor allem Seniorenhaushalte leben häufig in für ihre Bedürfnisse zu grossen Wohnungen.
Mit dem erwarteten starken Wachstum der Neumieten in den nächsten Jahren wird sich die Problematik weiter verschärfen. Allein schon das heutige Optimierungspotenzial einer besseren Allokation ist riesig. Das Economic Research von Raiffeisen hält in der Immobilienstudie fest, dass wenn alle Mietwohnungen bloss ein Zimmer mehr umfassen als Personen im Haushalt leben, liesse sich ein «idealer» Flächenverbrauch von rund 38m² pro Kopf ableiten. Eine effizientere Flächenallokation würde nicht nur das Problem der Überbelegung lösen, sondern zusätzlich 170'000 Mietwohnungen à 100m² freispielen. Damit liesse sich Wohnraum für knapp eine halbe Million Menschen schaffen. Mit einer besseren Nutzung des Mietwohnungsparks könnte die sich zuspitzenden Wohnungsknappheit also weitgehend entschärft werden, ohne dass auch nur ein einziges neues Gebäude erstellt werden müsste. «In Anbetracht des gewaltigen, brachliegenden Potenzials wäre es gerade mit Blick auf ökologische und soziale Gesichtspunkte angebracht, dass einerseits die mietrechtlichen Ursachen der Fehlallokation behoben werden und andererseits mutige Überlegungen anstellt werden, wie ein sinnvoller Flächentransfer bewerkstelligt werden könnte», regt Hasenmaile an.