Rezessions-Risiken oder nicht?

Inflation, Stagnation, Rezession, was beschreibt die Situation und das Hauptrisiko am besten? Derzeit ist das Stagflationsszenario wohl das mit der höchsten Wahrscheinlichkeit, das heisst wenig oder kaum wachsende Wirtschaft bei gleichzeitig historisch weiter überdurchschnittlicher Inflation, auch wenn diese sich in den kommenden Monaten etwas zurückbilden könnte. Doch auch Rezessionsrisiken sind wegen der Energieabhängigkeit trotz derzeit volleren Gasspeichern in der Eurozone immer noch vorhanden, aber auch in den USA, vor allem, wenn die US-Zentralbank und die Europäische Zentralbank keine Zinssenkungen beziehungsweise keine Kehrtwende bei der Verteuerung des Geldes vollziehen.

In der Eurozone könnte sich bei wieder deutlicherer Energieknappheit, ausgelöst durch hohe Nachfrage bei kalten Temperaturen oder durch noch weniger Energielieferungen aus Russland oder aus den OPEC-Staaten, die Wahrscheinlichkeit einer Rezession dieses Jahr wieder erhöhen, auch wenn aktuell die Gasspeicher noch gut gefüllt erscheinen. Dank einer besser balancierten Energieversorgung und einer mehr auf Pharmazeutika ausgerichteten Produktion ist die Rezessionswahrscheinlichkeit in der Schweiz geringer als in der Eurozone. In Deutschland und Italien hingegen ist die Rezessionswahrscheinlichkeit aufgrund des höheren Gasanteils an der gesamten Energieversorgung grundsätzlich höher als in der übrigen Eurozone. Doch wie steht es um die grösste Volkswirtschaft der Welt mit dem bestimmenden Einfluss auf die Finanzmärkte, die USA?

Bei steigenden Konjunkturrisiken sind weniger konjunkturabhängige Anlagen die weniger riskante und vorsichtigere Strategie.

Gérard Piasko, Chief Investment Officer, Maerki Baumann

Im ersten Halbjahr 2022 verzeichneten die Vereinigten Staaten bereits eine «technische» Rezession, wenn man es genau nimmt, die sich aber über den Sommer 2022 auflöste. Eine technische Rezession wird in den USA definiert durch zwei aufeinanderfolgende Quartale mit negativem Wachstum des Bruttoinlandproduktes, welches die Wirtschaftsaktivität misst. Quantitativ zeigten das erste und das zweite Quartal in den USA ein Wachstum von -1,6% und -0,9%, was also als technische Rezession gelten kann, jedoch kamen diese Minuszahlen durch spezielle Konstellationen zustande. So führten die Rohstoffpreise beziehungsweise Veränderungen der Rohstoffe zur Vorperiode im ersten Quartal zu einer negativen Kontribution der Handelsbilanz zum Wachstum des Bruttoinlandproduktes (BIP). Im zweiten Quartal 2022 zeigte sich eine ungewöhnliche Lagererhöhung, welche ebenfalls als ausserordentlicher Grund für die Negativveränderung des BIP gilt, weshalb man bei beiden Quartalen nicht von einer echten Rezession, sondern eher von einer «technischen» Rezession sprechen kann. Wie steht es nun um die Gefahren einer echten Rezession und wie wird diese definiert?

In den USA entscheidet das National Bureau of Economic Research, kurz NBER, über diese Frage. Dies ist ein Thinktank, eine nicht gewinnorientierte private Research-Organisation unter Einbezug von Professoren wichtiger Universitäten, welche als Rezession definiert: «eine signifikante Abschwächung der wirtschaftlichen Aktivität, die länger als nur wenige Monate andauert, im BIP sichtbar wird sowie im Realeinkommen, in der Beschäftigung, der Produktion des verarbeitenden Gewerbes sowie im Gross- und Einzelhandel.» Die Abschwächung im ersten Halbjahr 2022 bekam trotz der «technischen» Rezession daher nicht die Bezeichnung als Rezession durch das NBER. Doch die Risiken für eine echte Rezession in diesem Sinne in den USA steigen aus verschiedenen Gründen an, auch wenn es noch keineswegs sicher ist, dass es letztlich auch zu einer Rezessionsbezeichnung durch das NBER kommen wird. Hauptgrund dafür ist die Fortsetzung der enorm aggressiven Zinserhöhungspolitik durch die US-Zentralbank, welche die Inflation auf den Zielwert von 2% drücken möchte, was gemäss Fed-Chef Powell nicht schmerzfrei gehen könne. Eine Angebotsknappheit kann zwar mit Zinserhöhungen nicht bekämpft werden – und insofern ist gar nicht sicher, ob die Inflation durch die Fed-Politik letztlich auf 2% zurückgeführt werden kann –, doch die wirtschaftliche Nachfrage kann schon gebremst werden. Eine Rezession kann daher durch einen Rückgang des Privatkonsums, der Investitionen der Unternehmen, der Immobilienkonjunktur und vor allem eine Verschlechterung des Arbeitsmarktes, also der Beschäftigung, in den USA ausgelöst werden und nicht nur durch einen externen Energieschock wie in der Eurozone 2023 oder wie in den USA in den 1970er Jahren. Wie historisch belegt ist die aktuell deutliche Inversion der US-Zinskurve ein Warnsignal, denn vor jeder Rezession zeigte sich eine Inversion der US-Zinskurve.

Bei steigenden Konjunkturrisiken sind weniger konjunkturabhängige Anlagen gegenüber zyklischen, mehr von der Wirtschaft abhängigen wohl die vorsichtigere Strategie und weniger riskant. Daher bleibt eine Favorisierung defensiver, weniger konjunkturabhängiger Aktienmärkte gegenüber zyklischeren sinnvoll, zum Beispiel des Schweizer Aktienmarktes und bei Anleihen jene mit besserer Kreditqualität gegenüber jenen mit schlechterem Kreditrating.

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