US-Zinskurven-Inversion als Rezessionsindikator?
In letzter Zeit sind viele Marktteilnehmer wieder auf die Struktur der amerikanischen Zinskurve aufmerksam geworden. Eine sinkende Differenz zwischen den Marktzinsen am langen Ende der US-Zinskurve wie 10-jährigen Anleihenrenditen und dem kurzen Ende, z.B. den 2-Jahres- oder 3-Monats-Zinsen, zeigt historisch eine hohe Korrelation mit abnehmendem US-Wirtschaftswachstum. Allerdings ist der zeitliche Abstand von Konjunkturschwächen oder gar US-Rezessionen zu Inversionen der Zinskurven historisch oft stark schwankend.
Gegenwärtig wird wieder über die Form oder Struktur der US-Zinskurve diskutiert und über deren Funktion als Konjunkturindikator. Normalerweise sind die Renditen lang laufender Anleihen oder die langen Zinsen minus die Renditen kurz laufender Anleihen bzw. die kurzen Zinsen positiv – wenn sie negativ werden, spricht man von einer inversen oder umgekehrten Zinskurve. Im Normalfall sind die langen Zinsen klar über den kurzen Zinsen, weil lang laufende Anleihen dazu tendieren, eine höhere Rendite zu zeigen als kurze, um die höheren Risiken zu kompensieren, die sich aus der weiter entfernten Zukunft ergeben (länger laufend bedeutet auch mehr Potenzial für den Eintritt von Risiken).
Wenn die langen Anleihenrenditen im Vergleich zu den kurzen Marktzinsen abnehmen, spricht man von einer flacher werdenden Zinskurvenform. Am meisten Beachtung findet die Differenz zwischen den 10-jährigen und den 2-jährigen US-Anleihenrenditen. Dies, weil im Vorfeld aller vergangenen US-Rezessionen eine Inversion der US-Zinskurve zu beobachten war. Der fundamentale Zusammenhang erfolgte oft über das Bankensystem. Denn traditionell finanzierten sich viele amerikanische Banken über das kurze Ende der Zinskurve und erzielten Erträge über länger laufende Kredite, z.B. Hypotheken. Eine flacher werdende oder gar inverse Zinskurve signalisierte historisch eine schwindende Profitabilität des Bankensystems und damit oft schwierigere Zeiten für die Wirtschaft und die Finanzmärkte.
Gérard Piasko, Chief Investment Officer, Maerki BaumannDer Zeitablauf zwischen Inversionen der US-Zinskurve und Rezessionen war historisch sehr unterschiedlich.
Kurze Marktzinsen werden von der Geldpolitik der Zentralbank beeinflusst, während lange Marktzinsen eher bzw. zusätzlich von den Wachstumserwartungen durch die Finanzmärkte getrieben werden – daher wird eine steilere Zinskurve meist mit stärkerem Wachstum der Wirtschaft assoziiert. Allerdings haben die massiven Zentralbank-Obligationenkäufe in den letzten Jahren die Anleihenrenditen via das sogenannte Quantitative Easing (die quantitative Lockerung der Geldpolitik) stark verzerrt. Eine Reduktion der Anleihenkäufe oder gar Anleihenverkäufe, das sogenannte Quantitative Tightening (quantitative Verschärfung der restriktiveren Geldpolitik wie gegenwärtig in den USA der Fall, aber nicht in der Schweiz), wird von vielen Marktteilnehmern daher gefürchtet, da sich die Marktzinsen erhöhen und die Kreditkonditionen in der Wirtschaft verschlechtern können.
Einige innerhalb der US-Zentralbank ziehen bei den Zinskurven inzwischen die Differenz zwischen den 10-jährigen US-Staatsanleihenrenditen und den US-3-Monats-Zinsen als Wirtschaftsindikator vor. Dies funktionierte in den vergangenen Jahrzehnten noch besser als Indikator einer Wirtschaftsabschwächung, allerdings mit mehr Verzögerung. Diese Zinsdifferenz zeigt für die USA ebenfalls eine Konjunkturabschwächung an. Generell darf allerdings nicht vergessen werden, dass die Form der US-Zinskurve von beiden Seiten her beeinflusst werden kann. Wenn das kurze Ende zu stark durch Fed-Zinserhöhungen ansteigt, kann dies zu einer Inversion der Zinskurve führen. Und wenn die Nachfrage nach lang laufenden Anleihen im Verhältnis zum Angebot (Emissionen) zunimmt, kann die Rendite lang laufender Obligationen abnehmen und eine Inversion auslösen. Dies kann dann passieren, wenn Marktteilnehmer erwarten, dass Inflation als Problem bald von Konjunkturabschwächung abgelöst wird. Der Zeitablauf zwischen einer Inversion der US-Zinskurve und einer US-Rezession war historisch sehr unterschiedlich. Im Durchschnitt erfolgte eine Rezession rund eineinhalb Jahre nach einer Inversion, doch der Zeitabstand variierte zwischen rund 7 und 24 Monaten stark. Ebenfalls sehr unterschiedlich zeigte sich historisch die Reaktion des US-Aktienmarktes. 1973 erreichte der US-Aktienindex S&P 500 vor der Zinskurven-Inversion seinen Höhepunkt, bevor er nach unten drehte. 2019/20 war es 6 Monate danach und in zwei Fällen in den letzten Jahrzehnten endete der US-Aktienaufwärtstrend erst 22 Monate nach der Inversion. Sektoren, die sich nach Zins-Inversionen oft besser als der Gesamtmarkt hielten, waren übrigens Gesundheitswesen und Energie.