Vor den US-Zwischenwahlen
Die amerikanischen Zwischenwahlen finden jeweils zwei Jahre nach der letzten US-Präsidentschaftswahl statt. In ihnen wird der US-Kongress (Senat und Repräsentantenhaus) neu bestellt. Wichtig werden vor allem die Wahlen zum US-Repräsentantenhaus: Bei einem republikanischen Sieg im Repräsentantenhaus, aber Verbleib des US-Senats in demokratischer Hand, würde es schwieriger, gemeinsam Gesetze zu verabschieden. Dies könnte die politische Stabilität vermindern und die Volatilität der US-Märkte inklusive des US-Dollars erhöhen.
Dieses Jahr finden Anfang November die Teil-Neuwahlen zum US-Kongress, dem aus zwei Kammern (Senat und Repräsentantenhaus) bestehenden amerikanischen Parlaments, statt. Bisher wurden beide Kammern von der demokratischen Partei des amtierenden US-Präsidenten Joseph Biden dominiert. Dies machte es relativ einfach, Gesetze im Sinne des Präsidenten zu verabschieden. Dies könnte sich nun ändern, denn: Im Durchschnitt verlor die demokratische Partei seit 1950 bei den US-Zwischenwahlen 25 Sitze im US-Repräsentantenhaus und durchschnittlich drei im Senat. Interessanterweise (und nicht überraschend) zeigt sich, dass als genereller Einflussfaktor für Wahlen in den USA der Zustand der Wirtschaft den Amerikanern besonders wichtig ist.
Angesichts der begonnenen Konjunkturabschwächung und vor allem der historisch hohen US-Inflation wären Verluste der demokratischen Partei folglich keine Überraschung. Dies auch wegen der verminderten Popularität des US-Präsidenten, welche sicher auch im Zusammenhang mit der markanten Steigerung der amerikanischen Konsumentenpreise stehen dürfte. Sie hat dazu geführt, dass sich die um die Inflation bereinigte Einkommenssituation für den Durchschnittsamerikaner klar verschlechtert hat – und dementsprechend auch die Kaufkraft. Auch wenn jede Prognose schwierig ist zu stellen, so wäre eine Niederlage der demokratischen Partei im Repräsentantenhaus nicht erstaunlich. Im US-Senat, wo nicht alle Sitze neu gewählt werden müssen, könnten die Demokraten besser abschneiden. Um die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu erhalten, müsste die republikanische Partei vier Sitze dazugewinnen, im Senat hingegen würde ein zusätzlicher genügen.
Gérard Piasko, Chief Investment Officer, Maerki BaumannAufgrund der historisch hohen US-Inflation wären Verluste der regierenden demokratischen Partei von US-Präsident Joseph Biden keine Überraschung.
Vom Marktkonsens werden zwei Szenarien favorisiert: (1) Zunehmend wahrscheinlich scheint ein Sieg der Republikaner in beiden Kammern des Kongresses. (2) Noch höher prognostiziert wird ein Sieg der Republikaner im Repräsentantenhaus und das Verbleiben einer demokratischen Mehrheit im Senat. Das heisst, dass ein Sieg der Republikaner in der grösseren Parlamentskammer erwartet wird.
Die Kontrolle des US-Senats ist vor allem für wichtige fiskalische Gesetzesänderungen von Bedeutung, gerade auch für eine eventuell nötige Konjunkturstimulierung im Fall einer Rezession innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre. Bei einem Sieg der Republikaner in beiden Parlamentskammern (1) hätten Initiativen zu neuen markanten Staatsausgaben aufgrund der geringen Ausgabenorientierung der republikanischen Partei künftig wohl weniger Chancen. Falls die Republikaner das Repräsentantenhaus, nicht aber den Senat gewinnen (2), könnten Gesetzesänderungen aufgrund der dann aufgeteilten politischen Macht nur schwierig durchgebracht werden. So dürfte es eine fiskalische Konjunkturstimulierung somit nicht leicht haben. Gewinnen die Demokraten beide Kammern, wäre dies einfacher zu bewerkstelligen. Allerdings ist angesichts der massiven Ausweitung der US-Staatsverschuldung seit der Corona-Pandemie eine nochmals starke fiskalische Wirtschaftsstimulierung weniger wahrscheinlich. Dies, weil die Verhandlungen zwischen den verhärteten Fronten beider Parteien kompliziert wären. Falls eine Konjunkturstimulierung (im Fall einer möglichen Rezession 2023 oder 2024) zustande käme, würden die Republikaner wohl Steuersenkungen eher vorziehen als höhere Regierungsausgaben, welche die Demokraten ihrerseits historisch oft favorisiert haben. Eine Diskussion über die US-Schuldenobergrenze wäre demzufolge kaum zu vermeiden. Als legislative Änderung könnte eine Regulierung von Internet-Plattformen diskutiert werden. Eine solche bräuchte aber mehr als eine einfache Mehrheit im Senat – also nicht nur 51, sondern sogar 60 Senatoren. Auch Gesetze zur Reduktion der Medikamentenpreise wären ohne einen demokratischen Sieg in beiden Kammern schwieriger zu bewerkstelligen.
Bill Clinton, vormaliger US-PräsidentIt is the economy – stupid.
Insgesamt ist ein zunehmend komplexes innenpolitisches Umfeld in den USA zu erwarten, was weiterhin gegen konjunkturabhängige Aktiensektoren und für defensive Anlagen spricht.
Zuletzt gilt es anzumerken, dass die Resultate von US-Zwischenwahlen in der Vergangenheit noch kein Signal für die zwei Jahre später stattfindende US-Präsidentschaftswahl waren. Wichtiger war in der Vergangenheit immer der Zustand der US-Wirtschaft unmittelbar davor. Wie schon US-Präsident Bill Clinton in den Neunzigerjahren formulierte: «It is the economy – stupid.»