Aktien bleiben auch nach der «Zeitenwende» die aussichtsreichste Anlageklasse

Gestörte Lieferketten in immer mehr Sektoren, Inflationsraten so hoch wie seit fast 50 Jahren nicht mehr und ein Abwärtstrend bei den Zinsen, der sich dem Ende entgegenneigt: Die Corona-Pandemie und der russische Überfall auf die Ukraine haben nicht nur in der Politik für eine «Zeitenwende» gesorgt, sondern auch in der Weltwirtschaft und an den Kapitalmärkten.

Die hohen Inflationsraten, bislang zumeist als vorübergehend bezeichnet, werden zu einem strukturellen Phänomen. Dazu wird eine sich abschwächende Globalisierung beitragen, was zu niedrigerer Produktivität und höheren Kosten führen dürfte. Gleichzeitig werden die Versuche, den Klimawandel zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen, sich definitiv nicht disinflationär auswirken. Bereits in der Vergangenheit haben die geldpolitischen Antworten der Notenbanken auf solche Entwicklungen dafür gesorgt, dass ein «soft landing» eher die Ausnahme als die Regel war. Noch dazu liegen die Währungshüter schon jetzt reichlich «behind the curve». Erschwerend kommt hinzu, dass durch den Wegfall der billigen Energie aus Russland und die nötigen drastisch steigenden Ausgaben für militärische Verteidigung die so genannte Friedensdividende aufgebraucht ist, von der Europa und besonders Deutschland jahrzehntelang profitiert haben. Die makroökonomischen Konsequenzen all dieser Entwicklungen sind beunruhigend. Die Konsumnachfrage wird wegen der Teuerung sinken und die Unternehmen werden zusätzlich unter fallenden Margen und steigenden Finanzierungskosten leiden.

Die Konsumnachfrage wird wegen der Teuerung sinken und die Unternehmen werden zusätzlich unter fallenden Margen und steigenden Finanzierungskosten leiden.

Klaus Kaldemorgen, Fondsmanager, DWS

Von Dollar und Gold profitiert
Angesichts der Inflationsentwicklung und dem zuvor historisch niedrigen Zinsniveau sind Staatsanleihen mit langer Laufzeit mittlerweile extrem riskant und haben ihre Funktion als «sicherer Hafen» verloren. Gleichzeitig kompensieren Unternehmensanleihen das Risiko sich verschlechternder Kreditqualität nicht mehr hinreichend. Vor diesem Hintergrund haben wir langlaufende Treasuries und Bunds geshortet, was uns in den ersten Monaten 2022 einen ordentlichen Ertrag aus dem Anleihenportfolio beschert hat. Obwohl Anleihen in der Breite derzeit keine attraktive Anlageklasse sind, haben wir dem Portfolio zuletzt kurzlaufende Treasuries und in Dollar denominierte Anleihen supranationaler Emittenten hinzugefügt. So rentieren zweijährige US-Staatsanleihen derzeit mit rund 2,6 Prozent, was ein vernünftiges Risiko-Rendite-Verhältnis bedeutet. Trotz des Gegenwinds durch eine zu erwartende straffere Geldpolitik und zahlreiche geopolitische Risiken bleiben Aktien unserer Ansicht nach jedoch unverändert die Anlageklasse mit dem grössten Ertragspotenzial. Daher streben wir den höchstmöglichen Aktienanteil in unseren Portfolios an. Die Frage ist also nicht, ob man in Aktien investiert, sondern in welche.

Die Frage ist nicht, ob man in Aktien investiert, sondern in welche.

Klaus Kaldemorgen

Intelligent kombiniert können Aktien diversifizieren wie Anleihen
Die grosse Herausforderung besteht dabei darin, ein Aktienportfolio zu konstruieren, in dem die einzelnen Bestandteile eben jene Diversifikationsbeiträge liefern, die für ein robustes Portfolio über unterschiedliche Marktszenarien hinweg zwar unabdingbar sind, die mit Anleihen jedoch nicht mehr erzielt werden könnten. Dass auch Aktien wie Anleihen unterschiedliche Zinsänderungsrisiken aufweisen, hat nicht zuletzt die gegenläufige Wertentwicklung von Growth- und Value-Titeln gezeigt, wo in diesem Jahr bislang ein in Euro gerechnetes Minus von 22 Prozent einem mehr oder weniger unveränderten Niveau gegenübersteht. Als erfolgreicher Ansatz für die entsprechende Strukturierung eines Aktienportfolios hat sich dabei die Aufteilung in die drei thematischen Töpfe «Wachstum», «Stabilität» und «Zyklik» erwiesen. Allerdings dürfen diese drei Bestandteile nicht naiv gleich hoch gewichtet werden, sondern müssten vielmehr entsprechend ihrer jeweiligen Risikobeiträge zum gesamten Aktienportfolio und passend zum aktuellen Marktumfeld repräsentiert sein. Konkret bedeutet dies, dass wir zuletzt aufgrund der eskalierenden Ukraine-Krise, der Erwartung einer strafferen Geldpolitik und der Unsicherheiten hinsichtlich der neuerlichen Corona-Lockdowns in China den Anteil des «Stabilitäts»- zu Lasten des «Wachstums»- und «Zyklik»-Topfs auf rund 50 Prozent erhöht haben. Dabei liegt der Schwerpunkt auf defensiven Papieren mit attraktiven Dividendenrenditen etwa aus dem Pharma- und Telekommunikationssektor, die damit Qualitäten bieten, die bei Anleihen nicht mehr zu finden sind.

Wachstumswerte nicht weiter reduzieren
Mit Blick auf die Wachstumswerte ist darauf hinzuweisen, dass die von steigenden Zinsen ausgelösten Bewertungskorrektur mittlerweile grossteils abgeschlossen sein dürfte. Zwar war der jüngste Ausverkauf im Technologiesektor nicht nur der Zinsentwicklung geschuldet, sondern hat auch Bedenken hinsichtlich des Gewinnausblicks reflektiert, dennoch sind wir der Auffassung, dass Wachstumswerte aus unserer Total-Return-Perspektive weiter einen substanziellen Anteil an einem gut ausbalancierten Aktienportfolio haben sollten. Gleichzeitig ist bei zyklischen Titeln weiter Vorsicht geboten, weshalb dieser Korb im Portfolio auch am niedrigsten gewichtet ist. Vor allem der Energie- und der Minensektor haben zuletzt zwar kräftig von den steigenden Rohstoffpreisen profitiert und werden häufig als Inflationsabsicherung betrachtet. Das ist angesichts der Gefahr einer nachlassenden makroökonomischen Dynamik unserer Ansicht nach aber eine riskante Einschätzung.

Aktien könnten in den kommenden Jahren im Schnitt sieben Prozent bringen
Was die Kombination aus hoher Inflation und steigenden Zinsen für den Aktienmarkt in den kommenden Jahren bedeuten könnte, lässt sich anhand der 1970er skizzieren, die vor allem aufgrund der ersten Ölkrise von vergleichbaren Bedingungen geprägt waren. Zwischen 1973 und 1975 hat der Markt stark auf diese Entwicklung reagiert, wobei US-Aktien um rund 15 Prozent gefallen sind. Der Grund dafür war aber eine kräftige Straffung der Geldpolitik, welche die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihen auf beinahe 15 Prozent nach oben katapultierte. Eine solche Entwicklung halte ich in diesem Jahrzehnt aber für hochgradig unwahrscheinlich. In den vergangenen zehn Jahren sind die globalen Aktienmärkte in Euro gerechnet dann um etwa zwölf Prozent p.a. gestiegen. Angesichts des strukturellen Gegenwinds sollten wir meiner Ansicht nach also damit zufrieden sein, wenn die Aktienmärkte uns einen durchschnittlichen nominalen Ertrag von jährlich sieben Prozent bescheren würden.

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