Vom Schreckgespenst der Stagflation
Steigt die Inflation über das von einer Notenbank angestrebte Niveau – im Fall der EZB und der Fed sind das zwei Prozent –, kann sie mit einer restriktiveren Geldpolitik dagegen angehen. Sie kann die Zinsen erhöhen und die Liquiditätszufuhr drosseln. Das sollte den Preisanstieg dämpfen. Droht ein wirtschaftlicher Abschwung, kann sie mit Zinssenkungen und dem Öffnen der Geldschleusen der Wirtschaft unter die Arme greifen.
Knifflig wird es, wenn beides zusammen eintritt, also die Inflation anzieht und sich gleichzeitig die Konjunktur abkühlt. Eine solche sogenannte «Stagflation» (eine Wortkreation aus den Begriffen Stagnation und Inflation) ist der Alptraum für eine Notenbank. Denn was soll sie tun? Bekämpft sie die Inflation mit einer restriktiven Geldpolitik, würgt sie die Konjunktur erst recht ab. Bleibt sie expansiv, um die Konjunktur zu stützen, droht die Teuerung aus dem Ruder zu laufen.
Thomas Heller, Chief Investment Officer, Schwyzer KantonalbankEine Stagflation ist der Alptraum für eine Notenbank.
Mit der aktuellen Wachstumsverlangsamung und dem starken Anstieg der Inflation sind derzeit stagflationäre Ansätze zu beobachten. Entwickelt sich daraus eine ausgewachsene Stagflation? Dass die Konjunktur an Dynamik verliert, ist angesichts der rasanten Erholung aus der letztjährigen Rezession nachvollziehbar und kein Grund zur Sorge. Und wir sprechen von einer Verlangsamung, nicht von einer Stagnation oder Kontraktion. Kein einziger der vom Finanzinformationsportal Bloomberg befragten Ökonomen rechnet im kommenden Jahr mit einem BIP-Rückgang in den grossen Volkswirtschaften (USA, China, Eurozone, Japan). Ein gewisses Risiko geht zwar von den Lieferengpässen in verschiedenen Bereichen aus (am bekanntesten ist wohl die Chipknappheit), die sich als hartnäckiger erweisen, als ursprünglich vermutet. Dennoch sollte sich dieses Problem eher entschärfen als vergrössern.
Thomas HellerEine echte Stagflation wird sich aus heutiger Sicht nicht entwickeln.
Die derzeit erhöhte Inflation ist stark von Basis- und Sondereffekten geprägt. Einige davon wirken nächstes Jahr in die andere Richtung, der daraus resultierende Teuerungsdruck wird abnehmen. Die Inflation dürfte nächstes Jahr trotzdem über der 2%-Marke zu liegen kommen. Das (neue) symmetrische Inflationsziel von Fed und EZB erlaubt dies jedoch explizit und wird die Währungshüter nicht zum Handeln zwingen. Natürlich gibt es auch hier Risikofaktoren, welche die Teuerung hochhalten oder sogar anheizen können. Etwa die bereits genannten Lieferengpässe, die gegenwärtige Rohstoffknappheit oder ein signifikanter Anstieg der Wohnkosten in den USA, welche ein Drittel des amerikanischen Warenkorbes ausmachen. Wahrscheinlicher scheint jedoch, dass sich die Inflation von den aktuellen langjährigen Höchstständen zurückbildet. Eine echte Stagflation wird sich aus heutiger Sicht aus dieser Gemengelage nicht entwickeln.