Der Schweizer Finanzplatz sollte seine Sanktionspolitik dringend überdenken

Der Schweizer Finanzplatz steht durch die wachsenden geopolitischen Unsicherheiten vor grossen Herausforderungen. In einem zunehmend volatilen Umfeld, geprägt durch den Krieg in der Ukraine sowie die Spannungen zwischen den USA und China, wird die politische und wirtschaftliche Stabilität der Schweiz auf eine harte Probe gestellt. Dies schafft für den Schweizer Finanzplatz neue Risiken, aber auch Chancen, seine Rolle als sicherer Hafen für Investoren sowie Unternehmen zu festigen. Im Zentrum steht dabei auch die derzeitige Sanktionspolitik, die dringend neu gedacht werden sollte.

Statista, eine deutsche Online-Plattform für Statistik, die Daten von Markt- und Meinungsforschungsinstitutionen sowie aus Wirtschaft und amtlicher Statistik öffentlich zugänglich macht, hat die Anzahl der gegen Russland verhängten Sanktionen von ausgewählten Ländern im Zeitraum vom 22. Februar 2022 bis zum 23. Dezember 2023 erhoben. Das Ergebnis ist äussert ernüchternd. Wie sich zeigt, hat die Schweiz mit grossem Abstand am meisten Sanktionen (1'971) umgesetzt, gefolgt von der EU (1'435), Australien (1’221), Japan (987) und den USA (723). Offenbar übernimmt die Schweiz – zumindest im Fall von Russland – relativ unbedacht, oftmals wohl auch aus vorauseilendem Gehorsam, Sanktionen in einem Umfang, der weltweit einzigartig ist. Kein anderer Finanzplatz auf der Welt agiert restriktiver und es stellt sich die Frage, ob die Schweiz hier gut beraten ist, derart kompromisslos vorzugehen. Andere, mit der Schweiz konkurrierende Finanzplätze setzen Russland-Sanktionen deutlich zurückhaltender um – am augenfälligsten die USA.

Eine aktuelle Studie der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) in Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen zeb zeigt auf, welche geopolitischen Risiken den Schweizer Bankenplatz besonders treffen und wie die Branche darauf reagieren kann. Sie legt u.a. nahe, dass der Schweizer Finanzplatz seine Sanktionspolitik dringend überdenken sollte.

Zentrale Ergebnisse
«Die Studie leistet Pionierarbeit. Sie analysiert erstmalig die Auswirkungen geopolitischer Risikofaktoren auf den Schweizer Bankenplatz», sagt Norman Karrer, geschäftsführender Partner von zeb Schweiz. Die Kombination von Literaturanalysen, die auf künstlicher Intelligenz basieren, und qualitativen Interviews mit Experten führte zu folgenden Erkenntnissen:

  • Schweizer Banken und die Schweiz als «Safe Haven» profitieren voneinander:
    Die Stabilität des Schweizer Finanzplatzes hängt zunehmend von seiner Position als sicherer Hafen ab. Geopolitische Risiken erzeugen komplexe Interdependenzen, die das Risiko für Schweizer Banken erhöhen.
  • Klare Positionierung zu Sanktionen ist zentral:
    Der wichtigste geopolitische Risikofaktor für die Schweiz ist ihre Haltung gegenüber internationalen Sanktionen. In einer multipolaren Weltordnung muss die Schweiz ihre Rolle und Strategie in Bezug auf Sanktionen neu definieren. Ein proaktives Risikomanagement ist für Schweizer Banken unerlässlich, um den geopolitischen Risiken erfolgreich zu begegnen.
  • Risiken und Chancen für Schweizer Banken:
    Das internationale Grosskundengeschäft und das Asset Management sind am stärksten von den geopolitischen Spannungen betroffen und könnten durch die volatile Lage an den globalen Märkten Einbussen erleiden. Gleichzeitig profitieren das nationale Wealth Management und das Retail Banking vom Ruf der Schweiz als sicherer Hafen.
  • Anpassungsfähigkeit als Schlüssel zum Erfolg:
    Die Fähigkeit des Schweizer Finanzplatzes, sich rasch und effektiv an neue Herausforderungen anzupassen, war bereits in der Vergangenheit ein entscheidender Erfolgsfaktor. Auch in der aktuellen geopolitischen Lage wird diese Anpassungsfähigkeit von wesentlicher Bedeutung sein.
  • Technologie und Innovation zentral für Wettbewerbsfähigkeit:
    Die fortschreitende Digitalisierung, insbesondere im Bereich der künstlichen Intelligenz, wurde von Expertinnen und Experten als Schlüsselfaktor für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit identifiziert. Für Schweizer Banken wird es unerlässlich sein, erheblich in Innovationen zu investieren, um sich auf einem zunehmend globalen und technologiegetriebenen Markt zu behaupten.

Zukunftsorientierte Positionierung des Finanzplatzes ist entscheidend
Um seine führende Position in der globalen Finanzwelt zu behalten, ist es notwendig, dass sich der Schweizer Bankenplatz an die veränderten geopolitischen Realitäten anpasst. Eine klare, zukunftsorientierte Positionierung sowie innovative Strategien werden dabei entscheidend sein – dazu gehört auch eine deutlich klügere Sanktionspolitik.

Die detaillierte zeb-/SBA-Studie findet sich hier.