Frankreich taumelt, Italien punktet – wer hätte das gedacht?
Wenn es um neue Staatsschulden geht, scheint sich Italien langsam zu einem europäischen Musterschüler zu entwickeln, besonders im Vergleich zu Frankreich.
Politische Instabilität bringt zahlreiche Nachteile mit sich. Eine davon: je unsicherer die eigene Machtposition, desto kürzer der Zeithorizont einer Regierung oder eines politischen Entscheidungsträgers. Die langfristige Wohlfahrt eines Landes als Ganzes zu priorisieren, ist ein Luxus, den sich eine Regierung kaum leisten kann, wenn sie nur versucht, von einem Tag zum nächsten zu überleben – gerade lange genug, um beispielsweise den nächsten Haushalt zu verabschieden.
Ulrike Kastens, Senior Economist Europe, DWSFür dieses Jahr scheint Frankreich auf dem besten Weg zu sein, das grösste Haushaltsdefizit aller Länder des Euroraums zu verzeichnen.
Vor diesem Hintergrund lohnt sich der Vergleich zwischen den jüngsten politischen Tumulten in Frankreich und den Entwicklungen weiter südlich. Der untenstehende Chart zeigt die fiskalpolitischen Pläne Frankreichs und Italiens, wie sie zu Beginn des Jahres im Rahmen der Stabilitätsprogramme der Europäischen Union (EU) für beide Länder vereinbart wurden. Das ist schon auf den ersten Blick bemerkenswert: Italien ist scheinbar auf dem besten Weg, sein Haushaltsdefizit unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu senken, wodurch es rasch aus dem EU-Verfahren bei einem übermässigen Defizit entlassen würde. Frankreich hingegen sollte dieses Ziel erst 2029 erreichen. Nach dem EU-Regelwerk sollen Defizitverfahren den Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten für Steuersenkungen und Ausgaben einschränken, solange ein Land die Defizitgrenze von drei Prozent überschreitet.
Ulrike KastensZwar ist Italien nach wie vor stärker verschuldet, aber der Abstand hat sich rapide verringert.
Der eigentliche Kontrast besteht jedoch darin, dass Italien seine Haushaltsziele einhält oder gar übertrifft, und sogar einen Primärüberschuss erzielen dürfte. Frankreich hingegen hat Schwierigkeiten, seine Haushalte überhaupt zu verabschieden. Was die Sparmassnahmen angeht, befindet sich das Parlament seit der Auflösung der Nationalversammlung durch Emmanuel Macron im vergangenen Sommer in einer Sackgasse. Seit Macrons Wiederwahl 2022 gab es fünf Premierminister – was an die Instabilität der französischen Regierungen erinnert, bevor Charles de Gaulle 1958 eine neue Verfassung durchsetzte. «Für dieses Jahr scheint Frankreich auf dem besten Weg zu sein, das grösste Haushaltsdefizit aller Länder des Euroraums zu verzeichnen, unabhängig davon, welche politischen und parlamentarischen Manöver in den kommenden Tagen und Wochen noch stattfinden mögen», betont Ulrike Kastens, Senior Economist Europe bei der DWS. «Zwar ist Italien nach wie vor stärker verschuldet, aber der Abstand hat sich rapide verringert.» Kein Wunder also, dass französische Staatsanleihen seit der Einführung des Euro im Jahr 1999 erstmals durchweg mit etwas höheren Spreads als italienische Staatsanleihen gehandelt werden.
Im Vergleich zu Italien hatte Frankreich bereits geplant, sich mit dem Abbau seines Haushaltsdefizits Zeit zu lassen
