Diese vier Trends könnten eine Renaissance der Industriewerte entfachen

Während der digitale Sektor in der Pandemie florierte, steckten Unternehmen, die reale Güter produzieren in einer veritablen Krise. Gründe waren: Lockdowns, drastisch steigende Kosten und Lieferkettenprobleme.

Die Situation hat sich jedoch grundlegend geändert: Heute bieten Industriewerte Anlegern spannende Gelegenheiten – auch vor dem Hintergrund einer möglichen Rezession. Ich sehe vier langfristige Trends, die die Volkswirtschaften und Märkte der Welt neu prägen und gut positionierten Industrieunternehmen Chancen eröffnen.

Trend Nr. 1: Energiewende in den USA
2022 hätten erneuerbare Energien in den USA Kohle als Energiequelle übertroffen, wobei Wind, Sonne und Wasserkraft 22 Prozent des Stroms des Landes erzeugen. Mit dem Inflation Reduction Act (IRA) von 2022 und dem 2021 verabschiedeten Infrastructure and Investment Jobs Act habe die US-Regierung steuerliche Anreize und Subventionen in Höhe von Hunderten Milliarden Dollar für die Infrastruktur und den Ausbau einer Industrie für erneuerbare Energien in den USA bereitgestellt. Die Finanzmittel fliessen in die Modernisierung des Stromnetzes, den Bau von Hochspannungsleitungen und die Förderung seltener Mineralien, die zur Herstellung von Batterien für die Speicherung variabler Energiequellen benötigt werden. Diese Schritte schaffen eine potenzielle Nachfrage für Hersteller von Elektrogeräten und Industriekonglomeraten, die eine breite Palette an Dienstleistungen anbieten, sowie für Entwickler von fortschrittlichen Batterieenergie-Speichersystemen. Hinzu kommt: Sobald die Infrastruktur für erneuerbare Energien voll ausgebaut ist, sind nur noch geringe Wartungskosten damit verbunden. Dies könnte zu einem faktischen Einbruch des Strompreises in den USA führen und einem breiten Spektrum von Herstellern einen grossen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Die Folge könnte ein gewaltiger Produktivitätssprung sein, was sich wiederum positiv auf das Wachstum des US-Bruttoinlandsprodukts auswirken würde. Strom ist der Fixkostenfaktor Nummer eins in der Industrie, bei der Öl- und Gasförderung sowie im Metall- und Bergbau. Wenn Unternehmen potenziell 90 Prozent weniger Stromkosten zahlen, können sie massive Produktivitäts- und Margensteigerungen erzielen, die wiederum in höhere Löhne und höhere Kapitalinvestitionen einfliessen können.

Flexible Unternehmen aus den Bereichen Stromerzeugung, Metalle und Bergbau, Energie und Fertigung, die die richtigen Investitionen tätigen, könnten von einem nachhaltigen Wachstumszyklus profitieren.

Julie Dickson, Investment Director, Capital Group

Trend Nr. 2: Energiesicherheit in Europa
Der Krieg in der Ukraine und der faktische Stopp der russischen Öl- und Gaslieferungen nach Europa haben Europa vor die Herausforderung gestellt, seine Energieversorgung zu sichern. Viele Länder haben inzwischen erkannt, dass ihre nationale Sicherheit von stabilen Energieströmen abhängt. Das wird gewaltige Auswirkungen auf den Energiesektor und die Industrieunternehmen haben, die für den Aufbau der Infrastruktur benötigt werden. Als Beispiel zu nenne sind unter anderem das Unternehmen «Caterpillar», welches u.a. Rohrverleger und andere Gerätschaften herstellt, die beim Transport von Erdgas von der Quelle bis zu einer Anlage und schliesslich zur Verschiffung verwendet werden. Auch Produzenten von Flüssigerdgas könnten von dem grundlegenden Wandel in Europa profitieren, darunter insbesondere in den USA ansässige Unternehmen für Flüssigerdgas (LNG), die zu den Produzenten mit den weltweit niedrigsten Kosten gehören.

Trend Nr. 3: Neuordnung von Lieferketten
Gleichzeitig werden viele Unternehmen versuchen, die Sicherheit ihrer Lieferketten zu verbessern, indem sie diese wieder näher an ihre heimischen Standorte und an die Endmärkte zurückführen. Jahrzehntelange Globalisierung zur Maximierung der Effizienz und Minimierung der Kosten haben dazu geführt, dass viele Unternehmen durch Corona-bedingte Lockdowns und zunehmende geopolitische Spannungen zwischen den USA und China mit gestörten Lieferketten zu kämpfen hätten. Unternehmen wurden sich während der Pandemie der Bedeutung von stärker lokal angesiedelten Zulieferern bewusst und haben erkannt, wie klug es ist, zugunsten einer gewissen Redundanz auf maximale Effizienz zu verzichten. Viele Hersteller haben erkannt, dass sie eine bessere Resilienz benötigen, sprich, mehr Transparenz in ihrer Lieferkette, Flexibilität bei der Umstellung der Produktionsart und Fernüberwachung. Wenn Unternehmen neue Fabriken bauen, werden sie versuchen, einen Teil dieser Kosten durch den Einsatz der neuesten und effizientesten Technologie zu kompensieren. Unternehmen, die diese Technologie bereitstellen, dürften davon profitieren. Als Beispiel ist das japanische Industrieunternehmen «Keyence» zu nennen, das u.a. Automatisierungssensoren, Bildverarbeitungssysteme und Messgeräte für eine Reihe von Fertigungsvorgängen produziert.

Viele Anleger unterschätzen das Potenzial umfangreicher Investitionsausgaben, die heute getätigt werden, um für kommende Jahre ein Gewinnwachstum zu generieren.

Julie Dickson

Trend Nr. 4: Steigende Verteidigungsausgaben
Geopolitische Spannungen haben zudem zu einem Anstieg der Verteidigungsausgaben weltweit geführt. Einige bedeutende Industrieländer, darunter Deutschland, Japan und andere, haben Pläne für eine deutliche Aufstockung ihrer Verteidigungsbudgets bekanntgegeben. Gut geführte Rüstungsunternehmen sind daher gefragt. Allerdings werden nicht alle Titel des Sektors gleichermassen von diesem Trend profitieren. Es ist entscheidend, zu verstehen, welche Unternehmen über die effektivsten Innovationen verfügten und am besten positioniert sind, um ihre Geschäftspläne umzusetzen und Herausforderungen wie Lieferkettenprobleme zu bewältigen.

Fazit: Eine Flut steigender Investitionsausgaben könnte vielen «Schiffen» neuen Auftrieb geben.
Ich bin überzeugt: Flexible Unternehmen aus den Bereichen Stromerzeugung, Metalle und Bergbau, Energie und Fertigung, die die richtigen Investitionen tätigen, könnten von einem nachhaltigen Wachstumszyklus profitieren. Seit mehr als einem Jahrzehnt, in dem sich Anleger auf Technologie- und digitale Konsumgüterunternehmen konzentrierten, haben Unternehmen grosse Investitionsinitiativen oft als negativ angesehen. Aber ohne traditionelle Industrien kann man die New Economy nicht aufbauen. Viele Anleger unterschätzen das Potenzial umfangreicher Investitionsausgaben, die heute getätigt werden, um für kommende Jahre ein Gewinnwachstum zu generieren.

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