Eigenmietwert kippt – doch der Staat kassiert beim Immobilienboom wie nie zuvor

Durch die Abschaffung des Eigenmietwertes drohen dem Fiskus im aktuellen Tiefzinsumfeld hohe Steuerausfälle. Allerdings treibt die öffentliche Hand unabhängig von dieser Steuerreform stattliche Steuererträge bei den Besitzern inländischer Immobilien ein. Denn dank der Grundstückgewinnsteuer und den diversen Handänderungsabgaben sind Kantone und Gemeinden direkt am Vermögenszuwachs der Immobilienbesitzer beteiligt.

«Die hohen und in den letzten Jahren stark gestiegenen Immobilienpreise haben die staatlichen Einnahmen aus Immobilientransaktionssteuern deutlich erhöht. Auf den heutigen Preisniveaus sind Steuereinnahmen von über 100'000 Franken bei einer Eigenheimtransaktion keine Seltenheit mehr», stellt Fredy Hasenmaile, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz, fest. Folglich sind die durch Handänderungen generierten Einnahmen für Gemeinden und Kantone immer wichtiger geworden. Im Schweizer Durchschnitt sind beispielsweise die Einnahmen aus der Vermögensgewinnsteuer pro Kopf zwischen 2012 und 2022 um knapp 80 Prozent gestiegen, wovon der Grossteil auf die Grundstückgewinnsteuer zurückfällt. Auch der Anteil dieser Steuereinnahmen am gesamten Fiskaleinkommen wächst stetig und beträgt in zwei Dritteln der Kantone bereits zwischen vier und acht Prozent, in drei Kantonen sogar noch mehr. «Angesichts der anhaltend hohen Preisdynamik, werden diese Steuern für den Fiskus in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen», erklärt Hasenmaile.

Obwohl für die Besteuerung der Grundstückgewinne schweizweit dieselben Grundsätze gelten, nutzen die Kantone ihren grossen Spielraum bei der konkreten Ausgestaltung offensichtlich aus.

Fredy Hasenmaile, Raiffeisen-Chefökonom

Grosse kantonale Unterschiede
Obwohl die staatlichen Einnahmen aus Immobilientransaktionen in den meisten Kantonen zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Staatshaushalts geworden sind, variiert die kantonale Besteuerung von Immobilienverkäufen stark. Nicht alle Kantone erheben beispielsweise eine Handänderungssteuer. Auch bei der Berechnung der jeweils fälligen Grundstückgewinnsteuer gibt es grosse Unterschiede. Bei einem typischen Einfamilienhaus, einer 30-jährigen Haltedauer und einem Grundstückgewinn von 660'000 Franken resultiert ein durchschnittlicher kantonaler Steuersatz von 12,6 Prozent (CHF 83'000) auf diesen Gewinn. Die Bandbreite reicht bei diesem Beispielobjekt aber von bloss zwei Prozent (CHF 13'000) im Kanton Genf bis zu 26 Prozent (CHF 170'000) im Kanton St.Gallen. «Obwohl für die Besteuerung der Grundstückgewinne schweizweit dieselben Grundsätze gelten, nutzen die Kantone ihren grossen Spielraum bei der konkreten Ausgestaltung offensichtlich aus. Unterschiedlichste Berechnungsmethoden der erzielten Gewinne, der Steuersätze sowie der vorgeschriebenen Haltedauerabschläge führen zu einer sehr heterogenen Steuerbehandlung der Immobilienverkäufer je nach Standort des verkauften Objektes», konstatiert Fredy Hasenmaile.

Das Einfamilienhaus: Ein beliebtes Auslaufmodell
Mit der Abschaffung des Eigenmietwertes wird Wohneigentum noch attraktiver. Die Anreize für einen Eigenheimkauf sind aber unabhängig von der beschlossenen Steuerreform gross. Denn je nach Finanzierung können angehende Wohneigentümer im Vergleich zur Miete aktuell bis zu einem Drittel ihrer Wohnkosten einsparen. «Die hohen Eigenkapital- und Tragbarkeitshürden bleiben auch nach der Steuerreform für die grosse Mehrheit der Schweizer Haushalte hoch. Dies hindert viele Interessenten daran ihre Kaufabsichten umzusetzen, weshalb nicht mit einer grossen Zusatznachfrage und starken Preiseffekten durch die Eigenmietwertabschaffung zu rechnen ist», erklärt Hasenmaile. Trotzdem bleibt die Preisdynamik beim Wohneigentum ausgeprägt – insbesondere beim vermeintlichen Auslaufmodell Einfamilienhaus. Die in den letzten Jahren vielerorts revidierten Bauordnungen sehen zumeist deutlich höhere Ausnutzungsziffern vor und ermöglichen den Bau von Mehrfamilienhäusern, wo einst nur Einfamilienhäuser erstellt werden konnten. In der Folge entstehen nicht zuletzt aus Renditeüberlegungen immer weniger neue Einfamilienhäuser. Die grosse Knappheit und die starke Nachfrage, die sich aufgrund der Nutzungskonkurrenz durch Mehrfamilienhäuser akzentuiert, lassen die Preise für Einfamilienhäuser weiter kräftig steigen.

Trotz günstigem Marktumfeld fehlen bauliche Impulse
Die im Tiefzinsumfeld hohe relative Attraktivität von Immobilienanlagen lässt wieder markant mehr Kapital in den Immobilienmarkt fliessen. Die Kapitalströme sind bereits grösser als zu Zeiten des «Anlagenotstands» während der letzten Jahre der Negativzinsära. «Bedauerlicherweise führt der starke Kapitalzufluss nicht zur dringend benötigten Ausweitung der Wohnbautätigkeit. Stattdessen verpuffen die Investitionen angesichts der raumplanerischen Rahmenbedingungen fast vollständig in Preisanstiegen bei bestehenden Liegenschaften», stellt Hasenmaile fest. Die wieder spürbar rückläufige Zahl von Wohnungen in neuen Baugesuchen dämpft auch die zuletzt aufgekommene Hoffnung auf eine Entspannung bei den seit Jahren sinkenden Leerständen und stark steigenden Angebotsmieten. «Nur die konjunkturbedingt tiefere Zuwanderung verhindert derzeit eine noch stärkere Akzentuierung der herrschenden Wohnraumknappheit. Die sich aktuell etwas abschwächende Knappheitsdynamik verschleiert die nach wie vor bestehenden strukturellen Probleme und droht deren Lösung zu verschleppen. Eine Bauoffensive bleibt auch bei tieferem Zuwanderungsniveau dringend notwendig, um die Knappheitserscheinungen nachhaltig zu lindern und die flächendeckenden Mietpreisanstiege zu stoppen», so Hasenmaile.