Während Anleger darüber diskutieren, ob China «uninvestierbar» ist, geht das Land auf Wachstumskurs

Sind die Anleger nach dem chinesischen Parteitag im Oktober in Panik geraten? Ganz offensichtlich ja. In den sieben Wochen, die seither vergangen sind, sind die Kurse am Hongkonger Aktienmarkt und bei chinesischen Hochzinsanleihen um ein Drittel gestiegen, und das Marktnarrativ hat sich in mindestens drei Punkten enorm verändert.

Erstens gingen die Investoren davon aus, dass die chinesische Regierung an ihrer drakonischen Null-Covid-Politik festhalten würde. Stattdessen hat diese eine Kehrtwende hingelegt. Mitte November gab die Regierung einen 20-Punkte-Plan mit Massnahmen zur Lockerung der Quarantäne-Vorgaben und Testpflicht bekannt. Nachdem in mehreren grossen Städten Proteste gegen die Corona-Massnahmen ausbrachen, reagierte die Regierung am 7. Dezember mit einer weiteren Lockerung der Quarantäne- und Testpflicht.

Die chinesische Regierung in ihrer Erklärung im Dezember 2022 klargestellt, wo ihre politischen Prioritäten für 2023 liegen: in einer erheblichen Stärkung des Marktvertrauens und der Binnennachfrage.

Sahil Mahtani, der Anlagestratege, Ninety One

Zweitens erwarteten die Anleger, dass die Regierung den Druck auf den privaten Sektor aufrechterhalten würde. Zu spüren ist dieser seit der Politbüro-Sitzung im Dezember 2020, als erstmals Begriffe wie «der Kampf gegen Monopole» und «die Eindämmung der ungeordneten Expansion des Kapitals» ins Bewusstsein der Märkte traten. In der Erklärung des Politbüros vom Dezember 2022 betonten die politischen Entscheidungsträger stattdessen ihre «unerschütterliche» Unterstützung des öffentlichen wie auch des privaten Sektors – eine Formulierung, die an die guten Zeiten des Jahres 2018 erinnert.

Drittens hat die chinesische Regierung in ihrer Erklärung im Dezember 2022 klargestellt, wo ihre politischen Prioritäten für 2023 liegen: in einer «erheblichen Stärkung des Marktvertrauens und der Binnennachfrage». In Ansätzen zeichnete sich dieser Kurswechsel bereits im Mitte November vorgestellten 16-Punkte-Plan zur Stabilisierung des Immobiliensektors ab.

Fairerweise muss man sagen, dass die Stabilisierung des Wachstums bereits 2022 auf der Agenda stand, bevor Omikron und seine Folgevarianten der chinesischen Regierung einen Strich durch die Rechnung machten. Demgegenüber sprach die Regierung 2021 von einer «einmaligen Gelegenheit», um die strukturellen Ungleichgewichte zu adressieren, die durch die starke Auslandsnachfrage verursacht worden waren, während der Fokus der Erklärung vom Juli 2022 auf Covid lag («Menschen und Menschenleben an erster Stelle»). Diesmal steht das Wachstum im Fokus. Das ist ein unverkennbarer politischer Kurswechsel – zu einem Zeitpunkt, zu dem Anleger vermehrt darüber diskutieren, ob China «uninvestierbar» sei, was auch immer das heissen mag.

Wie ist der Ausblick für das kommende Jahr? Natürlich herrscht Unsicherheit über die Null-Covid-Politik, den Immobilienmarkt und das Ausmass der anstehenden Konjunkturmassnahmen. Letztere stellen zum Teil lediglich eine Fortsetzung der seit Jahresanfang erfolgten Lockerungen der Geldpolitik und Kreditkonditionen dar. Und – wie im Westen – wird die Wiederöffnung sicherlich nicht geradlinig verlaufen. Wie wir inzwischen wissen, sind weitere Covid-Wellen möglich oder sogar wahrscheinlich. Aber genauso wie die Markteinführung der Covid-Impfstoffe im November 2020 trotz der zwei darauffolgenden Covid-Wellen eine wichtige Triebkraft für die Erholung der entwickelten Märkte war, könnte auch Chinas Entscheidung, die Lockdowns zu beenden und seine Konjunkturmassnahmen zu verdoppeln, entscheidend sein – ganz egal, was als nächstes passiert.

Hauptbildnachweis: Pixabay