Pascal Mischler: «Ein einheitliches System von Benchmarks wird noch mehrere Jahre auf sich warten lassen.»

Der Länderchef von Goldman Sachs Asset Management, Pascal Mischler, zeigt sich skeptisch im Zusammenhang mit der baldigen Einführung eines einheitlichen Labels zur Kennzeichnung nachhaltiger Finanzprodukte. Gleichzeitig stellt er fest, dass Investoren im ESG-Kontext zunehmend auch auf soziale Faktoren setzen.

Pascal Mischler, Thematic Investment steht offenbar wieder hoch in der Gunst der Investoren. Es ist aber leider besonders anfällig für vordergründig spannende, aber letztlich leere Marketing-Narrative. Wie erkennen Investoren substanzielle, thematische Strategien. Wo trennt sich die Spreu vom Weizen?

Pascal Mischler: Tatsache ist, dass man längerfristige Themen nur schwer von kurzlebigen Trends unterscheiden kann. Ein vorübergehender Trend offenbart sich erst als solcher, wenn er zu Ende geht – manchmal abrupt und immer früher als erwartet – und sich die Renditen als nicht nachhaltig erweisen. Für uns bedeutet das: Wir müssen von den langfristigen Wachstumsaussichten jedes einzelnen Unternehmens, in das wir investieren, überzeugt sein; ebenso von der Stärke des Produkts in seinem jeweiligen Markt und der Finanzkraft des Unternehmens, die ihm sein künftiges Wachstum ermöglichen wird. Bei der Bewertung von Anlagemöglichkeiten müssen wir ausserdem diszipliniert vorgehen und akzeptieren, dass der mit der Überzeugung verbundene Preis in einigen Fällen zu hoch ist, um zu investieren.

Ein unverändert hohes Interesse zeigen Investoren im Rahmen der anhaltenden ESG-Debatte für nachhaltige Investitionen, allerdings schwergewichtig in den Bereichen «Environment» (E) und «Governance» (G) – deutlich im Hintertreffen scheint der Bereich «Social» (S). Täuscht dieser Eindruck?

In der Vergangenheit lag der Schwerpunkt in der Tat vermehrt auf den Bereichen Umwelt und Unternehmensführung. Während der COVID-19-Pandemie haben wir jedoch einen verstärkten Fokus auf soziale Faktoren festgestellt. Insbesondere stellen wir fest, dass sich Unternehmen stärker auf die Bereiche Vielfalt, Gerechtigkeit und Inklusion konzentrieren. Meiner Ansicht nach führt eine Vielfalt verschiedener Denkweisen und Erfahrungen zu besseren Entscheidungen. Bei Unternehmen mit einer vielfältigen Belegschaft und Führung bestehen bessere Aussichten auf Produkte, Dienstleistungen und Marketingstrategien, die eine durch Vielfalt geprägte Kundenbasis ansprechen. Die potenziellen Vorteile, die sich daraus ergeben, sind unseres Erachtens kaum zu übersehen.

Im Nachhaltigkeits-Universum wächst die Kategorie «Impact Investing» überdurchschnittlich schnell. Die Fondsanbieter überbieten sich vor diesem Hintergrund gegenseitig mit entsprechenden Anlagefonds, deren tatsächliche Wirkung aber eigentlich niemand genau zu beziffern vermag. Werden Investoren hier nicht vorgeführt?

Impact-Fonds verzeichnen ein erhebliches Wachstum sowohl beim Volumen als auch bei der Zahl der verfügbaren Produkte – in öffentlichen und privaten Märkten. Es herrscht eine starke Nachfrage, aber bisher gibt es noch keine einheitlichen Kennzahlen zur Messung und Bewertung ihrer Wirkung. Das führt zu einem uneinheitlichen Vorgehen, wobei häufig jedes Unternehmen oder jeder Fonds eigene Wege beschreitet. Meiner Ansicht nach wird ein einheitliches System von Benchmarks noch mehrere Jahre auf sich warten lassen. Bei Goldman Sachs Asset

Ein vorübergehender Trend offenbart sich erst als solcher, wenn er zu Ende geht – manchmal abrupt und immer früher als erwartet – und sich die Renditen als nicht nachhaltig erweisen.

Pascal Mischler, Country Head Switzerland, Goldman Sachs Asset Management

Management haben wir ein Team, das sich seit mehr als einem Jahrzehnt mit Impact-Anlagen und der Messung ihrer Wirkung beschäftigt. Der Prozess ist iterativ und intensiv – von den ersten Phasen der Due Diligence bis hin zur Bewertung der Wirkung jeder Anlage für jedes einzelne Unternehmen. Wenn man sich auf weniger, aber wesentliche Datenpunkte für jeden Sektor oder jedes Thema konzentriert und bewusst einen einheitlichen Ansatz verfolgt, gibt es glaubwürdige Möglichkeiten, mit Anlagen wirklich eine Wirkung zu erzielen.

Institutionelle Investoren dürfen bis zu 15 Prozent ihrer Vermögensbasis in alternative Anlagen investieren –­ dazu zählen auch Infrastruktur-Investments, die doch neuerdings eigentlich dem Nachhaltigkeits-Universum zugeordnet werden müssten. Machen solche Vorschriften vor dem Hintergrund der angestrebten Energiewende Sinn?

Die Definition des Begriffs «Infrastruktur» ist unscharf und umfasste in der Vergangenheit eher «traditionelle» Anlagen wie Mautstrassen und Flughäfen. Heute werden darunter auch Glasfaserkabel, Rechenzentren und andere grundlegende Dienstleistungen verstanden. Einige dieser Anlagen sollten nicht automatisch als «nachhaltig» eingestuft werden. Es spricht aber einiges dafür, an Infrastrukturanlagen in puncto ESG und Nachhaltigkeit sehr hohe Massstäbe anzulegen.

Stichwort Transparenz: wie stehen Sie zu einen Nachhaltigkeitslabel, das in Ihrer Branche derzeit mehrheitlich abgelehnt wird? Weshalb sträubt sich die Asset Management-Industrie gegen mehr Transparenz?

Die Asset Management-Branche setzt auf Transparenz, und dies ist im Bereich der Nachhaltigkeit auch nötig. Es gibt so viele Akronyme und so viel Fachjargon, dass es schwer sein kann, sich zurechtzufinden. Labels sind in der Regel ein nützliches Hilfsmittel für Anleger. Aufgrund der Herausforderungen im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit und Qualität der Daten sowie dem breiten Spektrum von Ansätzen auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit ist es jedoch nicht immer leicht, diese in ein Label zu fassen. Die Offenlegungsverordnung (Sustainable Finance Disclosure Regulation, SFDR) in Europa soll nun die Transparenz erhöhen, mehrere europäische Länder haben ausserdem eigene Nachhaltigkeitsstandards oder -labels eingeführt. Ich gehe davon aus, dass die Asset Management-Industrie sich mit Unterstützung von Aufsichtsbehörden, Anlegerinnen und Anlegern weiterhin um mehr Transparenz bemühen wird.

Hauptbildnachweis: Goldman Sachs Asset Management