Bei der Inflation haben die USA die Nase vorn

Die Finanzmärkte haben sich daran gewöhnt, dass Inflation und Zinsen in den USA höher sind als in Europa. Sie werden wohl umlernen müssen.

Die Teuerungsrate ist nicht nur derzeit in den USA niedriger als im Euroraum. Sie könnte es auch in Zukunft bleiben. Damit dürfte eine Verringerung oder gar Umkehr des Renditedifferenzials am Anleihemarkt einhergehen, und der Euro könnte seine Talfahrt gegenüber dem US-Dollar fortsetzen.

Der Euro könnte seine Talfahrt gegenüber dem US-Dollar fortsetzen.

Thomas Mayer, Gründungsdirektor Research Institute, Flossbach von Storch

Vom Anfang des neuen Jahrhunderts bis zum Jahr 2019 betrug die Konsumentenpreisinflation in den USA im Schnitt 2,2 Prozent. Im Euroraum und in Deutschland lag sie mit 1,7 und 1,5 Prozent deutlich tiefer. Seit ihrer Spitze im Jahr 2022 ist die Inflation in den USA bis zum August dieses Jahres auf 3,7 Prozent gefallen. Dagegen beträgt sie im Euroraum noch immer 5,2 und in Deutschland 6,2 Prozent. Auch die Kerninflation – bei der die Preise für Lebensmittel und Energie nicht berücksichtigt werden – ist in den USA jetzt geringer.

Drei Gründe für eine niedrigere US-Inflation
Drei Gründe sprechen dafür, dass die Teuerungsrate auf der anderen Seite des Atlantiks auch künftig tiefer liegen wird. Erstens hat die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) die Zinsen zur Bekämpfung der Inflation energischer angehoben als die Europäische Zentralbank (EZB). Im September lag der Leitzins in den USA 1,8 Prozentpunkte über der Inflation. Im Euroraum lag er um 1,2 Prozentpunkte darunter. Der EZB-Rat hat auf seinem letzten Treffen die Leitzinsen zwar noch einmal erhöht, aber den Märkten signalisiert, dass der Zinsgipfel erreicht sein könnte. Dagegen hat das Offenmarktkomitee der Fed jüngst die Zinsen unverändert belassen, aber weitere Anhebungen in Aussicht gestellt. Zweitens hat die Federal Reserve ihre zur Geldschaffung gekauften Anleihebestände bisher um rund zwölf Prozent abgebaut. Die Europäische Zentralbank hat dagegen ihren Bestand nur um sechs Prozent verringert. Auch in Zukunft dürfte die EZB ihren Anleihebestand langsamer abbauen. In ihrem 1,7 Billionen Euro schweren Pandemie-Programm will sie fällige Titel bis Ende 2024 durch Neukäufe ersetzen, um die Zinsen für hochverschuldete Eurostaaten niedrig zu halten. Und drittens dürfte die strukturelle Inflation im Euroraum aufgrund von teuren Rohstoffimporten, steigenden Preisen für CO2-Zertifikate und anziehenden Löhnen aufgrund des Arbeitskräftemangels höher bleiben als in den USA.

Was folgt daraus?
In der Vergangenheit war die höhere Inflation in den USA mit höheren Zinsen verbunden. So rentierte die zehnjährige US-Staatsanleihe von 2000 bis 2019 im Schnitt jährlich 3,4 Prozent, die entsprechende deutsche Bundesanleihe dagegen nur 2,6 Prozent. Aktuell liegt die US-Anleihe bei 4,6 Prozent, die Bundesanleihe bei 2,8 Prozent. Sobald sich der Markt auf eine Umkehr der Inflationsdifferenz einstellt, dürfte die deutsche Anleiherendite daher auf oder über das US-Niveau steigen. Den Politikern im Euroraum wird das kaum gefallen. Folglich wird der Druck auf die EZB, die Zinsen niedrig zu halten, weiter steigen. Gibt sie dem nach – wofür die bisherige Erfahrung spricht –, wird sich die Kombination von höherer Inflation mit niedrigen Zinsen in einer Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar niederschlagen. Seit seinem letzten Tief im September 2022 hat der Euro gegenüber dem US-Dollar zwar um zehn Prozent zugelegt. Seit seinem Allzeithoch im März 2008 hat er jedoch 31 Prozent eingebüsst. Der Verfall dürfte sich in der Tendenz fortsetzen, wenn sich die Märkte auf eine positive Inflationsdifferenz zwischen dem Euroraum und den USA einstellen und der EZB eine effektive Bekämpfung der Teuerung von den Politikern hochverschuldeter Eurostaaten verwehrt wird.

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