Schweizer Immobilienmarkt entwickelt sich unaufhaltsam in Richtung Wohnungsnot
Wohnraum wird in der Schweiz immer knapper. Die Leerstände sinken rapide und damit steigen neben den Eigenheimpreisen jetzt auch die Mieten. Im Umfeld extrem hoher Baulandpreise, rigider Bau- und Zonenordnungen sowie einer einsprachefreudigen Bevölkerung war die Wohnbautätigkeit schon seit längerer Zeit stark rückläufig.
Die dynamisch wachsende und auf immer grösserem Raum lebende Schweizer Bevölkerung benötigt deutlich mehr Wohnungen als aktuell auf den Markt kommen. «Das höhere Zinsniveau und die Bauteuerung mindern die Anreize für den Wohnungsbau zusätzlich. Gleichzeitig treiben der akute Fachkräftemangel und der Krieg in der Ukraine die bereits starke Zuwanderung kräftig nach oben. Wir steuern mit Vollgas auf eine Wohnungsnot zu», stellt Martin Neff, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz, fest.
Mietern stehen harte Zeiten bevor
Knappheit ausserhalb der besten Lagen ist am Mietwohnungsmarkt ein noch jüngeres Phänomen. Durch den Mietwohnungs-Bauboom des letzten Jahrzehnts stiegen die Leerstände noch bis vor zwei Jahren kontinuierlich an. Die Ende der 2010er-Jahre eingeleitete starke Drosselung der Wohnungsproduktion widerspiegelt sich nun zeitverzögert, dafür umso deutlicher im knappen Angebot an freien Mietwohnungen. Die landesweite Leerwohnungsziffer ist seit Jahresbeginn von 1,54 auf 1,31 Prozent gefallen. Dieser rekordhohe Rückgang betraf vor allem Mietwohnungen, da im Eigenheimmarkt die Leerstände bereits extrem tief sind. «In vielen regionalen Mietwohnungsmärkten herrscht schon Wohnungsknappheit, in einigen gar regelrechte Wohnungsnot. So weisen zum Beispiel die Kantone Genf, Zürich und Zug Mietwohnungs-Leerstandquoten von deutlich unter einem Prozent auf», so Neff.
Martin Neff, Chefökonom von RaiffeisenIn vielen regionalen Mietwohnungsmärkten herrscht schon Wohnungsknappheit, in einigen gar regelrechte Wohnungsnot.
Bis 2024 dürfte die Leerwohnungsziffer schweizweit die 1-Prozent-Marke unterschreiten», prognostiziert Neff. Wer umzieht, wird damit schon bald mit deutlich höheren Anfangsmieten konfrontiert werden. Aber auch bei bestehenden Mietverhältnissen werden die Mieten in absehbarer Zeit spürbar steigen. Im ersten Quartal 2023 muss aufgrund der deutlich anziehenden durchschnittlichen Hypothekarzinsen mit einer erstmaligen Erhöhung des hypothekarischen Referenzzinssatzes auf 1,5 Prozent gerechnet werden. Mieten, die auf dem jetzigen Referenzzinsniveau basieren, dürfen vom Vermieter dann gemäss Mietrecht um rund drei Prozent erhöht werden. Hinzu kommt der gesetzlich erlaubte Ausgleich der Teuerung und der allgemeinen Kostensteigerungen. Einigen Bestandsmietern drohen bis ins Jahr 2024 Mietzinserhöhungen um bis zu zehn Prozent.
Zaghafte Anzeichen einer Abkühlung
Völlig spurlos geht die Erwartung eines anhaltend höheren Zinsniveaus auch am Eigenheimmarkt nicht vorüber. Mittlerweile sind erste Entspannungszeichen auszumachen. So ist etwa die Zahl der aktiven Suchabonnements für Wohneigentum auf Onlineportalen im Vergleich zum Vorquartal um rund sechs Prozent gesunken. Auch Verkäufer scheinen bei ihren Preisvorstellungen allmählich kompromissbereiter zu sein. Die Angebotspreise für Einfamilienhäuser sind im dritten Quartal 2022 erstmals seit langem leicht gesunken (-1,5% gegenüber dem Vorquartal). «Die Entwicklung bei den Angebotspreisen ist ein erstes Indiz dafür, dass sich die Preisdynamik etwas abschwächt. Es ist also durchaus möglich, dass wir in einem der nächsten Quartale auch einmal ein negatives Vorzeichen bei den Transaktionspreisen sehen werden. Das wäre zwar ein Novum in der jüngsten Geschichte der Eigenheimmärkte, der Trend der Preiseentwicklung wird aber auch künftig weiter nach oben zeigen», so Neff. Denn Wohneigentum bleibt in der Schweiz weiterhin sehr knapp. Obwohl einige Private im Anbetracht der Zinswende das hohe Preisniveau nutzen, um mit einem Verkauf Profit zu machen, dürfte dies angesichts der weiterhin sehr regen Nachfrage kaum reichen, um die Preisdynamik umzukehren.
Zeitenwende bei Immobilienanlagen
Am Markt für Renditeliegenschaften ziehen dagegen dunklere Wolken am Horizont auf. Mit dem abrupten Ende der Negativzinsära hat sich das Marktumfeld für direkte Immobilienanlagen stark verändert. Das zeigt sich unter anderem in einer drastischen Bewertungskorrektur bei Schweizer Immobilienfonds. Lag die Marktkapitalisierung aller kotierten Immobilienfonds im Herbst 2021 noch rund 45 Prozent über ihrem Nettoinventarwert, ist diese Differenz bis Ende Oktober 2022 auf elf Prozent abgestürzt. Vieles spricht aktuell für einen deutlichen Nachfragerückgang bei Anlageobjekten. Durch die gestiegenen Finanzierungskosten zahlen sich heute viele fremdfinanzierten Investitionen nicht mehr aus. Insbesondere das für Private in den letzten Jahren sehr lukrative Buy-to-let-Modell rechnet sich heute in vielen Fällen kaum noch.
Martin NeffDie Goldgräberstimmung des letzten Jahrzehnts geht in diesem Markt zu Ende. Es ist mit deutlichem Druck auf die Transaktionspreise und damit auch die Bewertungen in den Immobilienportfolios zu rechnen.
Aber auch bei institutionellen Anlegern muss mit grösserer Zurückhaltung gerechnet werden. Die rekordtiefen Anfangsrenditen der letzten Jahre dürften angesichts attraktiver gewordener Alternativen, wie zum Beispiel festverzinsliche Wertpapiere, bei Investoren auf deutlich weniger Akzeptanz stossen als noch im Tiefstzinsumfeld. «Die Goldgräberstimmung des letzten Jahrzehnts geht in diesem Markt zu Ende. Es ist mit deutlichem Druck auf die Transaktionspreise und damit auch die Bewertungen in den Immobilienportfolios zu rechnen», stellt Neff fest. Der Markt wird allerdings durch die erwartete Mietzinsentwicklung gegen unten abgestützt. Die künftig steigenden Erträge dürften den Markt für Renditeliegenschaften vor einem Absturz bewahren.
Die aktuelle Raiffeisen-Studie «Immobilien Schweiz» findet sich hier.