Sollen Investoren auf Wert oder Wachstum setzen?

Eine bei Investoren oft gehörte Diskussion dreht sich um die Frage «Value» (Wert) oder «Growth» (Wachstum). Gemeint ist die Präferenz entweder für Aktien mit historisch tiefer Bewertung (Wert) oder historisch überdurchschnittlichem Geschäftswachstum (Wachstum).

Die Debatte zwischen den Anhängern von Value-Aktien, also historisch tief bewerteten Aktien, und den Anhängern von Growth-Aktien von Unternehmen mit überdurchschnittlichem Geschäftswachstum, ist schon mehrere Jahrzehnte alt. Auch aufgrund der seit Jahren erlebten, relativ besseren Performance von Growth-orientierten US-Aktien gegenüber anderen Regionen wie der Eurozone sowie der zunehmenden Nachfrage nach Value-Titeln wird die Debatte derzeit wieder intensiver geführt.

Ein US-Aktienportfolio setzt sich in der Regel schwergewichtig aus Technologie- und Kommunikationsunternehmen zusammen, die von der Coronakrise aufgrund der hohen Nachfrage nach Internet-Dienstleistungen im Jahr 2020 besonders profitiert und daher – verglichen mit anderen Branchen – historisch ein überdurchschnittliches Wachstum gezeigt haben. Die weitherum populären sogenannten «FAANG»-Firmen (Facebook, Amazon, Apple, Netflix, Google) dienen hier als Beispiele.

Die zu erwartende Erholung der Weltwirtschaft 2021/2022 spricht für eine balanciertere Mischung von Value- und Growth-Aktien.

Gérard Piasko, Chief Investment Officer, Maerki Baumann

In Europa und in einigen, wenn auch nicht in allen, Schwellenländer profitieren natürlich auch Firmen aus den Branchen Technologie oder Kommunikation von den Strukturveränderungen. Konjunkturabhängige Branchen mit relativ tieferer Bewertung wie zinssensitive Finanzaktien oder Rohstoff-, Konsum- und Industriesektoren dominieren aber besonders in Europa.

Da niemand den genauen weiteren Konjunkturverlauf und mögliche Rückschläge infolge des Coronavirus vorhersagen kann, ist eine einseitige Überbetonung von Value oder Growth nicht ratsam. Die mehr konjunkturabhängigen Value-Sektoren haben 2020 besonders unter Corona gelitten und bergen daher ein grösseres Aufholpotenzial, sobald die globale Konjunktur wieder anzieht. Sie werden derzeit von Anlegern zudem mehr nachgefragt und profitieren historisch meist von steigenden Anleihenrenditen.

Auf der anderen Seite sind einige Technologie-orientierten Growth-Aktien inzwischen teurer geworden und daher partiell verletzlicher betreffend Gewinnmitnahmen. Dafür profitieren sie von der strukturellen Veränderung hin zu mehr Digitalisierung. Bei Value-Aktien sind hingegen die Markterwartungen an das Geschäftswachstum trotz teilweiser Erholung immer noch eher niedrig im Vergleich mit Growth-Aktien oder dem gesamten Aktienmarkt.

Auf jeden Fall ist der Unterschied zwischen der relativen Bewertung von Value und Growth auf historisch so seltenen Niveaus, dass es sinnvoll ist, eine balanciertere Berücksichtigung beider Gruppen vorzunehmen. Für uns bedeutet dies – neben der allgemeinen Orientierung an «Sicherheit vor Rendite» – auch eine stärkere Balancierung verschiedener Aktienregionen und eine ausgewogenere Berücksichtigung von Wert- und Wachstumstiteln. Bis zur endgültigen Bewältigung der Coronakrise dürfte eine ausgewogenere Aufteilung der Regionen sinnvoller sein als eine radikale Präferenz für eine Region oder eine einseitige Ausrichtung auf Growth oder Value.

Gérard Piasko votiert für eine stärkere Balancierung verschiedener Aktienregionen und eine ausgewogenere Berücksichtigung von Wert- und Wachstumstiteln Bildnachweis: Maerki Baumann
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