Vom Wert von Substanzwerten

Bereits letztes Jahr haben wir auf das Potenzial von «Value»-Aktien hingewiesen. Die Zinserhöhungen und die historisch erhöhte Inflation machen diese Substanzwerte noch interessanter. Natürlich ist die begonnene Rotation von teurer bewerteten «High Flyer»-IT-Wachstumsaktien hin zu günstiger bewerteten «Value»-Aktien keine Einbahnstrasse.

Dieses Jahr hat sich die bereits 2021 begonnene Rotation weg von Aktien mit weiter in der Zukunft liegendem Geschäftswachstum und hoher Bewertung (speziell US-Internet-Aktien) hin zu Aktien mit tiefer Bewertung (Substanzwerten) im Sinne eines Favoritenwechsels fortgesetzt. Dies steht im Zusammenhang mit der massiven Neuorientierung der Zentralbanken im Rahmen einer intensivierten Inflationsbekämpfung sowie einer restriktiveren Geldpolitik.

Wenn die Erwartung auf weiter steigende Marktzinsen von Zentralbanken bewusst geschürt wird, darf es keine Überraschung sein, dass viele Anleger von höher bewerteten Aktien, beispielsweise amerikanischen IT-, Innovations- oder Internet-Aktien, wieder mehr zu den im Kurs-/Gewinn-Verhältnis oder Kurs-/Substanzwert-Verhältnis historisch tief bewerteten «Value»-Aktien wechseln. Wir haben bereits letztes Jahr auf die Attraktivität von «Value»-Aktien bzw. Substanzwerten hingewiesen.

Mit noch klarer Aussicht auf Zinserhöhungen und neu der Reduktion der Zentralbankbilanzen, dem sogenannten «Quantitative Tightening» (QT), hat der Wind dieses Jahr klar gegen die erwähnten «High Flyer»-Wachstumsaktien und mehr zugunsten der Substanzaktien gedreht. Kein Wunder, dass entsprechend der hohen Gewichtung von IT-Aktien im S&P 500 besonders der US-Aktienmarkt dieses Jahr eine Korrektur durchläuft.

Historisch betrachtet sind Substanzwerte bzw. «Value»-Aktien im Vergleich zu IT-Wachstumsaktien weiter niedrig bewertet.

Gérard Piasko, Chief Investment Officer, Maerki Baumann

Die erste Phase dieser Rotation unterstützt sehr viele der tief bewerteten Substanzwerte besonders aus den Branchen Energie und anderer Rohstoffe, welche von steigenden Rohstoffpreisen profitieren. In einer nächsten Phase, die von einer strukturell höher bleibenden Inflation als im letzten Jahrzehnt geprägt ist, wird es auch bei Substanzwerten wieder mehr auf die Einzeltitelauswahl ankommen. Der Fokus der Anleger wird sich sukzessive auf Firmen richten, die auch bei höheren sogenannten Inputkosten, also bei höheren Produktionskosten (Lohnkosten, Finanzierungkosten, Rohstoffkosten), eine ansprechende Gewinnentwicklung aufweisen können. Dabei dürften Gesellschaften im Vorteil sein, die schon in der Vergangenheit und möglichst über verschiedene Konjunkturzyklen hinweg bewiesen haben, dass sie eine gute und stabile Margenentwicklung vorweisen können.

Ebenso ist klar, dass wenn der Preis des Geldes bzw. das Zinsniveau ansteigt, Investoren auch wieder mehr auf die Dividenden blicken. Aktien von Unternehmen, welche über Jahre oder gar Jahrzehnte gute Dividenden ausgeschüttet haben und diese sogar steigern konnten, dürften mehr Interesse erhalten.

Sollte die Inflation anhaltend hoch, d.h. beispielsweise in den USA bei rund 3,5% verweilen, wird es hingegen für Aktien mit einem hohen Anteil ihres Geschäftserfolgs, der weiter in der Zukunft liegt, schwieriger, erneut Anlegerinteresse zu wecken. Dies einerseits, weil wegen dieser langen «Duration» ihrer Erträge diese Aktien eine höhere Empfindlichkeit für steigende Zinsen aufweisen. Andererseits weil viele dieser Aktien im Verhältnis zu «Value»-Aktien immer noch teurer bewertet sind. Sowohl im Kurs-/Gewinn-Verhältnis wie auch in der Cashflow- oder Dividendenrendite erscheinen Substanzwert-Aktien weiter attraktiver.

Natürlich ist diese Rotation von den «High-Flyer»-Wachstumsaktien der letzten Jahre hin zu den Substanzperlen bzw. «Value»-Aktien keine Einbahnstrasse. Sie wird regelmässig unterbrochen, was bei neuen Corona-Mutationen z.B. im Winterhalbjahr der Fall sein könnte, da dann die Nachfrage nach Internet-/IT-Produkten wieder zunehmen würde. Unterstützt wird diese Rotation eventuell bis 2023 durch die Normalisierung der Zentralbankbilanzen und durch Zinserhöhungen. Geopolitische Spannungen können dabei zu noch höheren Inflationsraten und Zinsen führen.

Fazit: Wir sehen immer noch eine im langfristigen Vergleich klar tiefere Bewertung der «Value»-Aktien im Verhältnis zu den besonders amerikanischen «High Flyer»-IT-Wachstumsaktien. Dies ergibt mittelfristig weiter Aufholpotenzial, vor allem bei jenen Substanzwerten, die mittels guter Marktstellung, unterdurchschnittlicher Verschuldung oder Preissetzungsmacht in einer Phase historisch höherer Inflation und dadurch notwendiger Zinsanpassungen auf ein steigendes Anlegerinteresse zählen können.

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