Italienische Staatsfinanzen: Noch hat die nächste Eurokrise nicht begonnen

Was für britische Zeitungen die Schlagzeile «Immobilienpreise werden abstürzen» ist, kennt man in deutschen Boulevardblättern als den Dauerbrenner «Eurokrise!» Beides hilft, um Zeitungen zu verkaufen, wenn auch nicht unbedingt Leser aufzuklären. Was erklärt dann die Knappheit solcher Euro-Schlagzeilen in den letzten Wochen? Immerhin haben sich die Spreads italienischer Staatsanleihen gegenüber deutschen Bundesanleihen seit letztem September um mehr als 100 Basispunkte ausgeweitet.

Ein Grund könnte sein, dass der aktuelle Spread im historischen Vergleich noch recht moderat ist, wie die untenstehende Grafik zeigt. Wir schätzen, dass Italien jedes Jahr etwa 14 Prozent seiner Schulden refinanzieren muss, sodass es einige Zeit dauert, bis höhere Zinsen das Budget belasten. Die Staatsverschuldung in Prozent des italienischen Bruttoinlandsprodukts lag Ende 2021 laut vierteljährlichen Eurostat-Daten bei knapp über 150 Prozent. Nur Griechenlands Schulden sind an der Kennzahl gemessen noch höher. Aber anders als in Griechenland spiegeln Italiens Schulden hauptsächlich hohe Defizite in den 1980er-Jahren wider, gepaart mit einem schwachen Wachstum seit den 1990er-Jahren.

Um die italienischen Staatsfinanzen steht es inzwischen deutlich weniger eindeutig, als viele annehmen.

Ulrike Kastens, Senior Economist, DWS

Über einen Grossteil dieser Zeit hatte Italien meist Überschüsse sowohl in seiner Leistungsbilanz als auch in seinem primären Haushaltssaldo, also vor Zinszahlungen. Erst die Covid-Pandemie sorgte bei Letzterem für Defizite. Italiens Leistungsbilanz ist zwar immer noch positiv, aber in den letzten Jahren geschrumpft. Im europäischen Vergleich ist Italien nach wie vor ein wichtiger Industriestandort und traditionell stark von russischem Öl- und Gasimporten abhängig. Durch Putins Krieg gegen die Ukraine drohen Lieferunterbrechungen. In weiser Voraussicht hat Ministerpräsident Mario Draghi bereits angeordnet, die Thermostate in öffentlichen Gebäuden auf Energiesparbetrieb umzuschalten.

Die Wahlen müssen bis Ende Mai 2023 abgehalten werden, was gerade lang genug sein könnte, um Italiens Finanzen auf eine tragfähige Grundlage zu stellen. «Unter der Voraussetzung, dass Italien sich an die Vorgaben hält und im kommenden Jahr fiskalisch konsolidiert, sollte selbst eine Zinserhöhung um 200 Basispunkte – aus welcher Quelle auch immer – theoretisch verkraftbar sein», argumentiert Ulrike Kastens, Senior Economist Europe bei der DWS.

Ob es tatsächlich tragbar wäre, hängt nicht nur von fiskalpolitischen Entscheidungen ab, sondern auch vom Zusammenspiel zwischen nominalem Wachstum – also inklusive Inflation – und Zinsen. Aber vielleicht gibt es bei letzterem Spielraum für Optimismus, zumindest bei relativen Kennzahlen wie Anleihespreads. In den letzten zehn Jahren hat Italien bereits viele notwendige, wenn auch nicht immer schnelle Verbesserungen durchgeführt. Der Bankensektor wurde beispielsweise weitgehend von notleidenden Krediten befreit. Inwieweit diese Bemühungen die strukturellen Wachstumsaussichten verbessert haben, bleibt abzuwarten. Aber zumindest, wenn es um die Diversifizierung der Energieversorgung geht, haben alle italienischen Regierungen des letzten Jahrzehnts deutlich besonnener gearbeitet als viele ihrer Kollegen weiter nördlich.

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