Wie die EU auf Trumps Zölle reagieren sollte

Die EU, wichtigster Handelspartner der USA, ringt um eine Antwort auf die US-Zollpolitik. Während Frankreich und Spanien für Vergeltungsmassnahmen plädieren, wäre der Verzicht auf Gegenmassnahmen ökonomisch die sinnvollste Strategie.

Jeder im Mainstream ausgebildete Volkswirt schätzt den grenzüberschreitenden Freihandel. Denn seit Adam Smith kennt er die Vorzüge der Arbeitsteilung und seit David Ricardo die Vorteile der Spezialisierung im internationalen Warenhandel. Protektionismus, die Einschränkung des Freihandels, ist ihm ein Gräuel. Denn dadurch gehen die Wohlfahrtsgewinne des länderübergreifenden Freihandels wieder verloren. Kein Wunder also, dass die Zollpolitik des US-Präsidenten Donald Trump von den Mainstream-Ökonomen unisono verdammt wird.

Die EU sollte nicht in eine protektionistische Spirale eintreten, sondern auf die produktivitätssteigernden Kräfte des asymmetrischen Protektionismus setzen.

Agnieszka Gehringer, Senior Research Analystin, Flossbach von Storch Research Institute

Wir stimmen mit dem Mainstream in Bezug auf die segensreichen Wirkungen des Freihandels überein. Aber die Predigten der Ökonomen lassen Donald Trump kalt. Vor seiner Wahl sagte er: «Für mich ist das schönste Wort im Wörterbuch der ‘Zoll’, und es ist mein Lieblingswort.» Und frisch gewählt präsentierte er am 2. April 2025, den er «Liberation Day» taufte, eine bizarre Liste «reziproker» Zölle mit Sätzen bis zu 50 Prozent – ausgerechnet auf das kleine Lesotho inmitten Südafrikas. Glücklicherweise erwies sich die fotogene, aber irre Zolltafel als Theaterdonner. Statt eins-zu-eins umgesetzt zu werden, eröffnete sie den Einstieg in Verhandlungen, die zum Teil noch andauern. Die tatsächlichen Zölle werden im Schnitt vermutlich niedriger sein als die «reziproken», aber sicherlich höher als früher. Trotz Trumps Teilrückzug bleibt also die Frage, wie die Handelspartner der USA auf die «Tollonomics» von Donald Trump reagieren sollen. Diese Frage stellt sich insbesondere der Europäischen Union, dem wichtigsten Handelspartner der USA. Trump drohte am 12. Juli in einem Brief an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit einem Zoll von 30 Prozent ab dem nächsten Monat. Man nehme Trumps Schreiben zur Kenntnis, teilte von der Leyen mit, sei aber weiterhin bereit, bis zum 1. August auf eine Einigung hinzuarbeiten. Die Verhandlungen werden jedoch dadurch erschwert, dass die EU-Länder gespalten sind. Eine Gruppe, darunter Frankreich und Spanien, ist für Gegenmassnahmen, eine andere, darunter Deutschland und Italien, drängt auf eine schnelle Einigung. Wir plädieren für einen Verzicht auf Gegenmassnahmen, und begründet das im Nachfolgenden.

Der theoretische Hintergrund: Freihandel versus Protektionismus
In der ökonomischen Theorie seit Adam Smith und David Ricardo gilt Freihandel als Quelle von Wohlstand. Arbeitsteilung und internationale Spezialisierung führen zu Effizienzgewinnen, steigender Produktivität und besserer Güterversorgung. Protektionismus hingegen wirkt diesen Effekten entgegen, indem er Handelsströme verzerrt und den Wohlstand schmälert. Trump widersetzt sich diesem Konsens. Für ihn ist «Zoll» ein positiv besetzter Begriff – ein Instrument zur Wiederherstellung wirtschaftlicher Souveränität. Seine Massnahmen ignorieren wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse bewusst, beruhen aber auf politischem Kalkül, insbesondere dem Schutz inländischer Arbeitsplätze.

Historischer Vergleich: Von Prebisch zu Trump
Wir sehen Parallelen zwischen Trumps Zollpolitik und der Importsubstitutionsstrategie Lateinamerikas in der Mitte des 20. Jahrhunderts – vor allem beeinflusst durch den argentinischen Ökonomen Raúl Prebisch und Hans Singer. Laut der Prebisch-Singer-These verschlechtern sich die Terms of Trade der Entwicklungsländer langfristig, was deren Abhängigkeit von Rohstoffexporten verstärke. Die Antwort darauf war eine Strategie zur Förderung inländischer Industrien durch hohe Zölle und staatliche Planung. In der Anfangszeit führte diese Politik tatsächlich zu Industrialisierung, langfristig jedoch zu Ineffizienz, technologischer Rückständigkeit und wachsenden Auslandsschulden. Die Lehren: Protektionismus schafft kurzfristige Erfolge, langfristig jedoch Strukturprobleme und Wohlstandsverluste. Trumps «Tollonomics» steht zwar in einem anderen Kontext, ähnelt dieser Strategie jedoch in vielen Aspekten:

  • Schutz vor ausländischer Konkurrenz
  • Stärkung staatlicher wirtschaftlicher Steuerung
  • Ziel der wirtschaftlichen Unabhängigkeit (insbesondere von China)
  • Politische Reaktion auf soziale Spannungen im Inland

Beide Politikansätze widersprechen Ricardos Theorem des komparativen Vorteils – mit ähnlichen Folgen: wirtschaftliche Ineffizienz und Wohlstandsverluste.

Ein weiteres historisches Beispiel: Smoot-Hawley und die Lehren der 1930er Jahre
Ein prominentes Negativbeispiel für Protektionismus war der Smoot-Hawley Tariff Act von 1930. Die USA erhöhten Zölle auf über 20.000 Importgüter drastisch, um Arbeitsplätze zu sichern. Die Folgen waren katastrophal:

  • Handelspartner reagieren mit Vergeltungsmassnahmen.
  • Der Welthandel brach um über 60 Prozent ein.
  • Die Weltwirtschaftskrise verschärfte sich dramatisch.
  • Die USA wurden wirtschaftlich isoliert.

Dieses Beispiel ist eine Warnung: Reaktive Handelspolitik kann eine Abwärtsspirale des Protektionismus in Gang setzen, die letztlich allen Beteiligten schadet. Die EU muss sich fragen, ob sie in diese Fussstapfen treten will.

Ricardo und asymmetrischer Protektionismus
In Ricardos klassischem Beispiel produziert England Tuch, Portugal Wein. Beide Länder profitieren durch Spezialisierung und Handel. Wird jedoch einseitig ein Zoll (z.B. von Portugal auf Tuch) eingeführt, sinkt der Handel und somit der Konsum beider Güter in beiden Ländern – der Wohlstand schrumpft. Reagiert England mit Gegenzöllen auf Wein, verschlimmert sich die Lage. Das Modell zeigt: Vergeltungszölle führen zu geringeren Handelsmengen, geringerer Produktivität und allgemeinen Wohlstandsverlusten. Eine interessante Wendung erfährt das Modell jedoch durch die Einführung eines «asymmetrischen Protektionismus»: Wenn England seine Produktivität erhöht, kann es die Exportpreise senken, um den portugiesischen Zoll zu kompensieren. So bleibt der Handel erhalten, der eigene Wohlstand steigt, während Portugal durch hohe Verbraucherpreise verliert. Der entscheidende Punkt: Produktivitätssteigerungen sind eine bessere Antwort auf Zölle als Gegenmassnahmen.

Asymmetrischer Protektionismus in der Realität
Die theoretische Idee des asymmetrischen Protektionismus findet empirische Unterstützung. Eine Studie von Agnieszka Gehringer (2025) über 27 EU-Staaten zeigt:

  • Handelshemmnisse im Ausland führen tendenziell zu Produktivitätsgewinnen im Inland.
  • Gleichzeitig sinken jedoch die Reallöhne.
  • Wenn der Staat die Lohnverluste durch Steuereinnahmen aus den Produktivitätsgewinnen kompensiert, kann der Nettoeffekt positiv sein.

Das Prinzip ähnelt den Erfahrungen mit Währungsaufwertungen:

  • In Deutschland (D-Mark-Ära) und der Schweiz führten starke Währungen zu Produktivitätsfortschritten, da Unternehmen gezwungen waren, wettbewerbsfähiger zu werden.

Etwas anders war die Reaktion auf die früheren Trump-Zölle auf chinesische Importe:

  • Laut einer Studie von Cavallo, Gopinath, Neiman und Tang (2019) gaben chinesische Exporteure die Zölle nicht in Form niedrigerer Preise weiter.
  • US-Importeure mussten die Mehrkosten tragen.
  • Dennoch stiegen die Einzelhandelspreise nur teilweise – offenbar wurden Margen gesenkt oder Effizienzsteigerungen in der Distribution realisiert.

Fazit: Zölle wirken ökonomisch komplex, führen aber langfristig eher zu strukturellem Druck zur Effizienzsteigerung als zu nachhaltigem Schutz.

Politische Implikationen für die EU
Vor dem Hintergrund dieser ökonomischen und historischen Argumente meint Flossbach von Storch:

  • Keine Gegenzölle durch die EU. Dies vermeidet die Gefahr eines eskalierenden Zollkrieges à la Smoot-Hawley.
  • Förderung unternehmerischer Produktivität. Die durch US-Zölle entstehende Preiskonkurrenz sollte Anreiz für Effizienzsteigerungen sein.
  • Sozialpolitische Flankierung. Verlierer des asymmetrischen Protektionismus – insbesondere Arbeitnehmer mit sinkenden Löhnen – könnten durch gezielte staatliche Massnahmen unterstützt werden.

Dieses Vorgehen setzt auf langfristige Stärke durch Wettbewerbsfähigkeit statt auf kurzfristige Machtsymbole. Es wäre zugleich eine Rückbesinnung auf die ökonomischen Prinzipien von Ricardo, Smith und moderner Handelsforschung.

Fazit
Unsere Kernthese ist: Freihandel schafft Wohlstand, Vergeltungszölle schaden allen. Die EU sollte nicht in eine protektionistische Spirale eintreten, sondern auf die produktivitätssteigernden Kräfte des asymmetrischen Protektionismus setzen. Das bedeutet:

  • Verzicht auf reaktive Handelspolitik
  • Investition in Innovation und Effizienz
  • Eventuell Kompensation der sozialen Kosten durch massvolle Umverteilung

Nur so kann die EU langfristig stark bleiben – nicht durch Zölle, sondern durch Wettbewerbsfähigkeit.

Hauptbildnachweis: Freepik