Europa in der ewigen Juniorenrolle
Donald Trump setzt das transatlantische Verhältnis massiv unter Druck. Aber war früher alles besser? Ein Blick zurück auf die Nixon-Ära weckt Zweifel.
Europa und Amerika werden unter Donald Trump auf harte Proben gestellt. Handelsbeziehungen und Zölle, die Hilfe für die Ukraine, die Beiträge für die Nato, all dies sind mehr als abendfüllende Themen. Zeitungskommentare wie dieser finden sich daher zuhauf: «Die entwürdigende Form in der die Vereinbarung mit US-Präsident Donald Trump getroffen wurde, belegt …, dass von europäischer Souveränität keine Rede sein kann.» Gemeint ist der überfällige Kraftakt der Europäer in Sachen höherer Nato-Beiträge Ende Juni auf dem Gipfeltreffen in Den Haag. Doch war früher wirklich alles eitel Sonnenschein zwischen Europäern und Amerikanern? John F. Kennedys «Ich bin ein Berliner» und Ronald Reagans «Mr. Gorbatschow, reissen Sie die Mauer nieder» gaukeln wohl allzu rosige Verhältnisse vor.
Europa war Ziel der ersten Auslandsreise Nixons
So weckt ein Blick auf die Nixon-Ära um 1970 erhebliche Zweifel am hehren Geist transatlantischer Partnerschaft. US-Präsident Richard Nixon war den Europäern grundsätzlich gewogen. Und sie schienen ihm wichtig. Europa bildete im Februar/März 1969 das Ziel seiner ersten Auslandsreise als Präsident der Vereinigten Staaten. Doch er machte eine ernüchternde Erfahrung. Beginnend mit dem Rücktritt von Charles De Gaulle in Frankreich wurde jede bedeutende Exekutive innerhalb eines Jahres abgelöst, und Nixon kamen die Ansprechpartner abhanden. Kein guter Ansatz für Beziehungspflege.
Jürgen Dunsch, WirtschaftsjournalistAbschreckung der Sowjetunion im Rahmen der Nato war das eine, eine umfassende geopolitische Rolle der Europäer eine ganz andere, wenig attraktive Sache
Natürlich war der Kontinent damals noch nicht die EU inklusive Eurozone von heute. Gemeinsame Institutionen bestanden erst in Ansätzen, eine gemeinsame geopolitische Strategie lag in weiter Ferne. Der Westen stand im Kalten Krieg mit der Sowjetunion. Aber: «Obwohl die Verbündeten die militärische Unterstützung der USA durch die Nato für unentbehrlich hielten, strebten sie nach mehr Autonomie bei der Gestaltung ihrer politischen und – vor allem – wirtschaftlichen Zukunft». Eine engere Partnerschaft sei ein Fall für Sonntagsreden gewesen. So urteilt Henry Kissinger in seinem Buch «Staatskunst». Der aus Deutschland stammende Professor hatte unter Nixon als nationaler Sicherheitsberater und Aussenminister Karriere gemacht. Im Zweifel dürfte er mit seinem Förderer eher nachsichtig umgegangen sein. Gleichwohl ist sicher richtig, dass Nixon danach strebte, eine «Struktur des Friedens» unter Führung der USA und mit Westeuropa, der Sowjetunion, China und Japan – diese in einem «ausbalancierten Gleichgewicht» - zu schaffen.
Die Vereinigten Staaten als massgeblicher Gestalter der globalen Verhältnisse: Da kam nicht nur Freude auf. In der Nato stellte Nixon klar, dass allein die USA mit dem Hauptfeind Sowjetunion verhandeln würden. Auch sonst standen Alleingänge auf der Tagesordnung. Am 15. August 1971 kündigte der Präsident die Konvertierbarkeit des Dollar in Gold auf und stürzte damit das Währungssystem von Bretton Woods. Nicht zuletzt europäische Verbündete waren entsetzt über die einseitige Entscheidung. O-Ton Kissinger: «Im Jahr 1973 antwortete Nixon auf die anhaltenden Debatten über das Währungssystem wie auf das europäische Unbehagen über Atomwaffen und den Vietnamkrieg, indem er den Vorschlag machte, ein «Jahr Europas» auszurufen.»
Die Nato als unentbehrliches Abschreckungselement
Heute wendet sich der Wüterich Trump von Europa ab, die Nato ist für ihn in erster Linie ein Bündnis der Europäer. Er lässt die Ukraine hängen und umschmeichelte immer wieder Russlands Putin. Nixon hingegen baute auf den alten Kontinent und betrachtete die Nato als Herzensangelegenheit. Für seine auf Frieden und Freiheit gründende weltpolitische Führungsrolle suchte er Verbündete. Zugleich lastete die Verstrickung in den Vietnam-Krieg schwer auf den USA. Unter diesen Vorzeichen sollte das «Jahr Europas» eine «Erklärung über eine langfristige Partnerschaft zwischen Europa und den Vereinigten Staaten nach Beendigung des Vietnamkrieges hervorbringen, die damals abzusehen war», so Kissinger.
Abschreckung der Sowjetunion im Rahmen der Nato war das eine, eine umfassende geopolitische Rolle der Europäer eine ganz andere, wenig attraktive Sache. Kissinger zieht folgendes Fazit: «Unsere Verbündeten waren für die Idee einer neu entwickelten Erklärung über die strategischen Ziele, die ihre unmittelbare Sicherheit betrafen, durchaus empfänglich, aber sie widersetzten sich globalen Definitionen von transatlantischer politischer Einigkeit». Das «Jahr Europas» wurde zum Flop. Die USA blieben Weltpolizist, die Europäer weitgehend sich und ihrem Kontinent verhaftet.