Inflation – Wo stehen wir heute?

Bereits vor ein paar Monaten haben wir darauf hingewiesen, dass die Inflationsgefahr möglicherweise unterschätzt wird. Klar ist, dass eine Inflation trotz der Unsicherheit über die längerfristige Tendenz in erster Linie ein zyklisches Phänomen ist.

In Zeiten, in denen das globale Wirtschaftswachstum anzieht, ist es völlig normal, dass die Veränderung der Konsumentenpreise im Vergleich zum Vorjahr der Konjunkturentwicklung nach oben folgt. 2020 kollabierten wegen tiefer Nachfrage die Rohstoffpreise; dieses Jahr haben sie sich stark erholt, was zu höheren Produzentenpreisen führte. Daher steigen die Inflationserwartungen der Konsumenten und letztlich auch die Konsumentenpreise selbst. Es ist davon auszugehen, dass wir dieses Muster auch dieses Mal – und zwar in allen wichtigen Wirtschaftsnationen – sehen werden.

Folgende Faktoren treiben die Inflation derzeit nach oben:

  • Die monetäre Lockerung der globalen Geldpolitik ist als Antwort auf die Coronakrise viel umfassender ausgefallen, als nach der Finanzkrise 2008/2009. Die Bilanzausweitung der vier wichtigsten Zentralbanken beträgt mehr als 7’000 Milliarden US-Dollar (oder über 50 Prozent des Bruttoinlandprodukts) seit Beginn der Coronakrise – die stärkste Liquiditätserhöhung aller Zeiten.
  • Wir sehen zusätzlich zur monetären eine enorme fiskalische Konjunkturstimulierung mittels einer Defizitausweitung. In Europa sind die Haushaltdefizite höher als nach der Finanzkrise 2008/2009. In den USA zeigte sich bereits vor dem Infrastrukturprogramm das höchste Fiskaldefizit seit dem Zweiten Weltkrieg.
  • Der Privatsektor ist in einer deutlich besseren Verfassung als nach 2008/2009. Allein in den USA betragen die angehäuften Zusatzersparnisse dank staatlicher Geldhilfen über 1’500 Milliarden US-Dollar. Diese enormen Ersparnisse und die damit verbundene hohe «Nachholnachfrage» erlaubt es Unternehmen, die Preise wo nötig anzupassen. Der Prozentsatz von US-Firmen, die Preiserhöhungen planen, zeigt dieses Jahr den höchsten Stand seit zwölf Jahren.
  • Angebotsengpässe bei der Produktion dürften im laufenden Jahr sowohl zu höheren Frachtpreisen, als auch zu einer Knappheit wichtiger Güter wie Halbleiter führen. Beide Faktoren begünstigen einen möglichen Inflationsanstieg.
  • Nicht zuletzt haben die anhaltenden Spannungen mit der aggressiver auftretenden Grossmacht China viele Firmen, gerade in den USA, zu einem Umdenken hinsichtlich ihrer Produktionsauslagerung nach China veranlasst. Ein steigender Anteil der Produktion aus China hatte seit 2001 zu einer globalen Desinflation geführt, was sich nun zum Teil wieder umkehren könnte, um quasi politisch besser diversifiziert zu sein. Eine intensivierte Produktion in der eigenen Region erhöht aber deren Kosten.

Bei graduell steigender Inflation erscheinen tief rentierende Anleihen wenig attraktiv.

Gérard Piasko, Chief Investment Officer, Maerki Baumann

Wie verhalten sich nun Anleihen, Aktien oder Gold in einem historischen Kontext? Der amerikanische Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, Robert Shiller, hat aussagekräftige Daten über einen Zeitraum von 150 Jahren analysiert. Sie zeigen vier Inflationsphasen:

  1. Negative Inflation wie in scharfen Rezessionen/Depressionen,
  2. hohe Inflation wie während der beiden Weltkriege oder in den 1970er Jahren,
  3. Reflation bzw. graduell von tiefem Niveau ansteigende Inflation wie in den 1960er Jahren,
  4. und Desinflation wie nach dem Zweiten Weltkrieg und in den letzten Jahrzehnten.

Im Verhältnis zum normalen historischen Durchschnitt zeigten dabei Aktien in den Reflations- und Desinflationsphasen überdurchschnittliche Renditen, Gold war bei hoher Inflation am attraktivsten, und Anleihen entwickelten sich bei negativer Inflation bzw. deflationärer Entwicklung überdurchschnittlich, jedoch nicht in Reflationsphasen. Der Grund, weshalb sich Aktien bei graduell ansteigender Inflation besser als Anleihen entwickeln, liegt in der Steigerung der Unternehmensgewinne: Denn nicht nur verbessern sich die Umsätze, sondern oft auch die operativen Margen.

Fazit: Solange sich das Wirtschaftswachstum verbessert und die Inflation auf höhere Niveaus ansteigt, erscheinen die historisch tief rentierenden Anleihen wenig attraktiv.