Westschweiz: Arbeitsmarkt profitiert von relativ junger Bevölkerung

Die Wirtschaftsregion Westschweiz hat sich im vergangenen Jahrzehnt als äusserst dynamisch erwiesen. Insgesamt ist es der Romandie trotz ihrer geografischen und ökonomischen Vielfalt gelungen, beim BIP, den Beschäftigungszahlen und der Bevölkerung ein Wachstum über dem Schweizer Durchschnitt zu erzielen. Die jüngsten Indikatoren zeigen, dass die Westschweizer Unternehmen die pandemiebedingte Krise bis anhin gut gemeistert haben. Nie gab es so viele Vakanzen wie Anfang 2022. Zwar bestehen auch in der Westschweiz Schwierigkeiten, offene Stellen zu besetzen, doch der Mangel an Arbeitskräften scheint weniger ausgeprägt als in anderen Landesteilen. Der Arbeitsmarkt profitiert insbesondere von der relativ jungen Bevölkerung. Zudem gelten viele Teile der Westschweiz in finanzieller Hinsicht als attraktiver Wohnort – insbesondere auch für Familien.

In ihrer neusten Studie befassen sich die Ökonominnen und Ökonomen der Credit Suisse mit den Kantonen Freiburg, Genf, Jura, Neuenburg, Wallis und Waadt und gehen dabei verschiedenen Aspekten der regionalen Wirtschaft auf den Grund – etwa der Entwicklung von Wirtschaftssektoren, Unternehmen und Beschäftigungszahlen, der Wohnattraktivität, dem Bevölkerungswachstum oder auch dem Immobilienmarkt.

Beschäftigungs- und Produktivitätszuwachs in den vergangenen zehn Jahren
Zwischen 2014 und 2019 legte die Beschäftigung in der Westschweiz um 7.4% zu, während es landesweit nur 5.3% waren. Besonders ausgeprägt war das Wachstum in den Kantonen Genf (+ 8.7%), Waadt (+ 8.6%) und Wallis (+ 6.8%). Allerdings bestehen zwischen den einzelnen Regionen erhebliche Unterschiede: Während das Wachstum in der Region La Gruyère 12% erreicht, ging die Beschäftigung in manchen Hochburgen der Uhrenindustrie zurück, so etwa im Vallée de Joux und in der Region La Chaux-de-Fonds. Die Produktivität – das heisst die Bruttowertschöpfung je Arbeitsplatz – ist zwischen 2011 und 2019 in allen Westschweizer Kantonen mit Ausnahme von Genf gestiegen. Dies unterstreicht die starke Innovationskraft der Region. Der Kanton Waadt zum Beispiel liegt bei der Start-up-Dichte direkt hinter Zug. Auch Genf, Neuenburg, Freiburg und das Wallis schaffen es in die Top 10.

Die umfassenden Unterstützungsmassnahmen und Hilfsleistungen des Bundes und der Kantone haben entscheidend dazu beigetragen, dass Covid-19 weniger schwerwiegende Auswirkungen für die Westschweizer Unternehmen hatte als bei Ausbruch der Pandemie befürchtet.

CS-Studie «Die Westschweiz – Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume»

Westschweizer Unternehmen scheinen pandemiebedingte Krise gut überstanden zu haben
Die Pandemie hat sich stark auf die Wirtschaftsleistung der Westschweiz ausgewirkt, nicht zuletzt im Aussenhandel. Mit Ausnahme des Wallis, das sich auf die Chemie- und Pharmabranche stützen konnte, sind die Exporte aller Westschweizer Kantone 2020 erheblich zurückgegangen. Auch der Tourismussektor musste Einbussen hinnehmen: Die Zahl der Übernachtungen in den Hotels und Einrichtungen der Parahotellerie lag im vergangenen Jahr noch um 24% unter dem Niveau von 2019. Dank der hohen Nachfrage der Schweizer Touristinnen und Touristen – besonders im Bereich Parahotellerie – ist es jedoch den Kantonen Neuenburg und Jura gelungen, 2021 mehr Übernachtungsgäste anzuziehen als noch vor der Krise. Die umfassenden Unterstützungsmassnahmen und Hilfsleistungen des Bundes und der Kantone haben entscheidend dazu beigetragen, dass Covid-19 weniger schwerwiegende Auswirkungen für die Westschweizer Unternehmen hatte als bei Ausbruch der Pandemie befürchtet. Die Konkursraten der Westschweizer Kantone lagen 2020 und 2021 (oftmals deutlich) unter dem Niveau der Jahre 2018 und 2019. Während die jüngsten Daten auf nationaler Ebene auf einen leichten Wiederanstieg der Konkursraten hindeuten, ist für die Westschweiz derzeit keine klare Trendwende festzustellen. Im Gegensatz zum nationalen Durchschnitt wurden in der Westschweiz jedoch nicht mehr Unternehmen während der Krise gegründet als davor.

Westschweiz weniger von Arbeitskräftemangel betroffen als andere Regionen
In den meisten Westschweizer Kantonen liegt die Arbeitslosigkeit wieder auf dem Vorkrisenniveau. Gleichzeitig gab es in der Westschweiz noch nie so viele Vakanzen wie Anfang 2022 (+ 38% im Februar 2022 im Vergleich zu Februar 2020 und sogar + 54% im Wallis; Quelle: Jobradar x28 AG). Dementsprechend haben immer mehr Westschweizer Unternehmen Schwierigkeiten, freie Stellen zu besetzen. Allerdings scheinen diese Probleme weniger ausgeprägt zu sein als in anderen Landesteilen. Bei der KMU-Umfrage 2021/2022 der Credit Suisse erklärten über 62% der Westschweizer KMU, die in den vergangenen drei Jahren Personen eingestellt oder Stellen ausgeschrieben hatten, dass die Suche nach geeigneten Arbeitskräften sich eher schwierig (38%) oder sehr schwierig (25%) gestaltet hatte. Im Landesschnitt erreichte dieser Wert 66% und in der Ost- und Nordwestschweiz sogar über 75%. Etwa 36 % der Westschweizer KMU gehen davon aus, dass die Personalbeschaffung in den nächsten Jahren noch schwieriger werden wird, während im Landesschnitt mehr als 50% dieser Auffassung sind. Diese regionalen Unterschiede beim Arbeitskräftemangel haben unter anderem demografische Gründe: Auf nationaler Ebene dürften bald mehr Babyboomer in den Ruhestand gehen als junge Menschen ins Berufsleben eintreten. Dies trifft jedoch nicht auf die Westschweiz zu. Dennoch wird sich der Saldo zwischen Eintritten in den Arbeitsmarkt und Pensionierungen in den kommenden Jahren auch in der Romandie spürbar zum Nachteil verändern.

Dynamischere Demografie und geringere Alterung als im Schweizer Durchschnitt
Der Westschweizer Arbeitsmarkt profitiert von seiner relativ jungen Bevölkerung. Die Kantone Waadt, Genf und Freiburg weisen mit unter 17% sogar den landesweit niedrigsten Anteil an Seniorinnen und Senioren (65 Jahre und älter) auf. Zwischen 2000 und 2020 ist die Bevölkerung der Westschweiz um durchschnittlich 1.2% je Jahr gewachsen – auf nationaler Ebene waren es nur 0.9%. Dieses Wachstum erklärt sich durch den positiven Beitrag der internationalen Zuwanderung. Diese ist Ausdruck der wirtschaftlichen Dynamik, welche Zuwanderinnen und Zuwanderer anzieht, deren durchschnittliches Bildungsniveau in allen Westschweizer Kantonen über demjenigen der Bevölkerung liegt. Mehrere Regionen profitieren zudem von einem positiven internen Wanderungssaldo. Am dynamischsten entwickeln sich jene, die von ihrer Attraktivität als Wohnort nahe den Ballungszentren Lausanne, Genf und Bern profitieren. Dies gilt zum Beispiel für die Regionen La Gruyère, La Broye, Glâne/Veveyse, Gros-de-Vaud, Nyon, Morges/Rolle, Murten oder auch Monthey/St-Maurice, Aigle und Martigny. Der pandemiebedingte Aufschwung vom Arbeiten im Home Office hat diesen Rückzug in die Regionen ausserhalb der grossen Zentren beschleunigt und es Haushalten auf der Suche nach Wohnraum ermöglicht, ihren Suchradius zu erweitern.

Finanzielle Wohnattraktivität höher als im Schweizer Durchschnitt – besonders für Familien
Was das frei verfügbare Einkommen betrifft – also der Betrag, welcher den Haushalten nach den obligatorischen Abzügen (Steuern, Sozialabgaben, Krankenversicherung), fixen Wohnkosten und allfälligen Ausgaben für Mobilität und Kinderbetreuung für Konsum oder Ersparnisse zur Verfügung steht – weisen gleich mehrere Westschweizer Regionen als Wohnort interessante Vorteile auf. Die Kantone Jura, Wallis und Freiburg sind aus finanzieller Sicht als Wohnort sogar attraktiver als der Schweizer Durchschnitt. Der Kanton Neuenburg liegt im Durchschnitt. Die Westschweiz ist besonders für Familien mit Kindern vorteilhaft, wobei das Wallis sogar den nationalen Spitzenplatz erreicht. Die Betreuung von Kindern im Vorschulalter in einer Krippe ist in den Westschweizer Kantonen weniger kostspielig als im Landesschnitt. Die steuerliche Abzugsfähigkeit der Betreuungskosten sowie die relativ grosszügigen Familienzulagen runden diese günstigen Rahmenbedingungen ab.

Immobilienmarkt: steigende Preise, sinkende Leerstände
Die Pandemie hat den Wunsch nach Wohneigentum verstärkt. Es werden nur wenige als Wohneigentum vorgesehene Immobilien gebaut. Gleichzeitig steigt aber die Nachfrage. Folglich schiessen die Preise für Wohneigentum in sämtlichen Westschweizer Kantonen erneut in die Höhe. Selbst für Haushalte mit einem Durchschnittseinkommen von CHF 134’000 sind immer weniger Objekte erschwinglich. Am Genfersee Bogen liegt der Anteil der Immobilien, die für einen solchen Haushalt noch tragbar sind, mittlerweile unter 10%. Dagegen ist im Jura, im Rhônetal und in gewissen Teilen der Kantone Neuenburg und Freiburg Wohneigentum noch deutlich öfters zugänglich. Die höhere Priorität des Themas Wohnraum und die solide Zuwanderung haben auch die Nachfrage auf dem Mietmarkt gestützt, besonders mit Blick auf grosse Wohnungen. Diese Entwicklung hat in Kombination mit der rückläufigen Bautätigkeit im Jahr 2021 eine Trendwende beim Anteil leerstehender Mietwohnungen bewirkt, nachdem der Angebotsüberschuss zuvor jahrelang zugenommen hatte. In der Westschweiz fiel der Rückgang minimal aus und beschränkte sich auf die Kantone Freiburg und Wallis. Die kantonalen Unterschiede sind jedoch weiterhin markant. Während die Leerwohnungsziffer im Kanton Genf mit 0.63% sehr niedrig ist, erreicht sie im Wallis 5.58%. Die deutlich sinkende Anzahl Baugesuche lässt jedoch auch für die Westschweiz eine breit abgestützte Trendwende erahnen.

Die Studie «Die Westschweiz – Perspektiven regionaler Wirtschaftsräume» der Credit Suisse findet sich hier.

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