Nahost-Konflikt: Der Franken bleibt eine Fluchtwährung – sogar bei negativem Leitzins

Die sich zuspitzende Situation in Nahost sorgt nicht nur geopolitisch für eine Eintrübung der Lage. Sie erhöht auch die Unsicherheit im Anlageumfeld. «Das wiederum verstärkt das Bedrängnis, in der sich die Schweizerische Nationalbank befindet», erklärt Santosh Brivio, Senior Economist der Migros Bank.

Mit den Angriffen Israels auf den Iran ist die Lage in Nahost eskaliert. Die Welt hält den Atem an ob der Gefahr eines regionalen Flächenbrandes. «Die dramatische Verschärfung der Situation trifft auf eine wirtschafts- und sicherheitspolitisch angespannte Weltlage. Der von den USA losgetretene Zoll- und Handelskonflikt, der schleppende globale Konjunkturverlauf oder die weit über die Ukraine hinausgehende Gefahr durch Russland – der Zustand der Welt und namentlich von Europa ist seit längerem durch mannigfaltige Unsicherheiten geprägt», erklärt Santosh Brivio, Senior Economist der Migros Bank.

Sicherheit ist gesucht; Vertrackte Ausgangslage für die SNB
In einem solchen Umfeld suchen die Anleger nach sicheren Häfen. Zu solchen «Safe Havens» zählen traditionellerweise Gold oder amerikanische Staatsanleihen, die bei geopolitischen Krisen trotz wachsender Überschuldungssorgen weiterhin gefragt sind. Ein gefragter Rückzugsort für das internationale Kapital ist in solchen Zeiten auch die Schweiz.

Die erneute Einführung eines negativen Leitzines wäre vor allem symbolischer Natur.

Santosh Brivio, Senior Economist, Migros Bank

«Dies macht die Ausgangslage für die Schweizerische Nationalbank (SNB) vor ihrem Zinsentscheid vom kommenden Donnerstag noch vertrackter, als sie sowieso schon ist», so Brivio. «Denn die erhöhte Nachfrage nach Schweizer Anlagen verstärkt den Aufwertungsdruck des bereits starken Franken zusätzlich. Zwar hat sich die Landeswährung gegenüber dem Euro seit Beginn des Angriffs bislang nur geringfügig aufgewertet. Aufgrund des Intraday-Verlaufs von EUR/CHF ist jedoch davon auszugehen, dass die SNB mit Devisenmarktinterventionen Gegensteuer gibt. Initial gab der Euro zum Franken um fast 0,9% auf rund 0.93 nach.»

Frankenstärke: Ein Problem für die Preisstabilität
«Für die SNB nimmt damit der Handlungsdruck zu, geldpolitisch gegen die Frankenstärke vorzugehen. Denn über den Aussenhandel trägt der starke Franken massgeblich zum deflationären Konsumgüterpreisumfeld in der Schweiz bei. Genauso wie ein hoher Aussenwert des Frankens die Schweizer Exporte auf dem Weltmarkt verteuert, verbilligt er im Gegenzug die Importe», erläutert Brivio. Die Folgen sind bekannt: Seit Monaten notiert die hiesige Jahresinflation am unteren Rand des SNB-Zielbandes von 0 bis 2%. Im Mai fiel sie mit einer Rate von -0,1% darunter und damit in deflationäre Gefilde. «Dennoch halten wir eine erneute Senkung des Leitzinses unter die Null-Prozent-Marke weiterhin nicht für angezeigt. Daher entspricht ein solcher Schritt nach wie vor nicht unserem Basisszenario», so Brivio. «Denn die unerwünschten Nebenwirkungen von Negativzinsen sind beträchtlich: Ein weiteres Anheizen der Immobilienpreise, das Berauben von Kleinsparern ihrer bereits schon kaum vorhandenen Zinserträge, das steigende Risiko von Kapitalfehlallokationen oder das Mindern von Vorsorgegelder-Rendite – dies alles sind Begleiterscheinungen, an denen niemand Interesse hat.» Zu bedenken ist auch: Das aktuell deflationäre Preisgefüge ist nicht einer Konsumzurückhaltung zuzuschreiben. Aber nur in einem solchen Fall würde ein negativer Leitzins (zumindest in der Theorie) zu einer spürbaren Ankurbelung der Privatkonsum führen, was wiederum die Preisdynamik zurück in die gewünschte Richtung triebe.

Wer möchte auf Versicherungsschutz verzichten?
«Zudem gehen wir nicht davon aus», ergänzt Brivio, «dass selbst ein negativer Schweizer Leitzins im aktuellen Umfeld die Fluchtbewegung in den Franken abschwächen würde. Denn für die Anleger sind Franken-Investments letztlich eine Art Versicherungsschutz. Nur weil dieser durch Negativzinsen etwas teurer wäre, würden sie nicht darauf verzichten. Der Aufwertungsdruck für den Franken hielte weiter an und entsprechend nähme auch der Deflationsimport nicht ab.»

«Die erneute Einführung eines negativen Leitzines wäre daher vor allem symbolischer Natur», folgert Brivio. Denn letztlich liegen entscheidende Triebkräfte des Preisumfelds und der Währungsentwicklung ausserhalb des geldpolitischen Wirkungsbereichs der SNB. Diese Erkenntnis ist zwar eine bittere Pille. Sie wird aber zumindest dadurch etwas versüsst, dass die SNB gleichzeitig von ausserhalb etwas Schützenhilfe im Kampf um die Preisstabilität erhält. So haben die Ölpreise im Soge der zugespitzten Nahost-Situation deutlich angezogen. Ölprodukte machen zwar nur knapp 3% am Schweizer Konsumentenpreis-Index aus. «Trotz dieses geringen Gewichtes können sie aber jenes winzige Stellschräubchen sein, das die Schweizer Inflationsrate wieder ganz knapp über die Null-Prozentmarke drückt. Die Teuerung läge damit wieder im Zielband, und der Handlungsdruck für die SNB für Symbolpolitik wäre ein klein Wenig geringer», resümiert Brivio.

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