SNB-Zinsschritt: Die Quadratur des Kreises dauert an

Die Schweizerische Nationalbank senkt den Leitzins auf neu null Prozent. Dennoch werden die Probleme bei der Teuerung und beim Frankenaussenwert nicht verschwinden. «Die weitere Geldpolitik bleibt im gegenwärtigen Umfeld ein Drahtseilakt. Umso wichtiger ist es, dass sich die Währungshüter nicht selbst ein Bein stellen», erklärt Santosh Brivio, Senior Economist der Migros Bank.

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) senkt den Leitzins zum fünften Mal in Folge. Dies gaben die Währungshüter gestern im Anschluss an ihre vierteljährliche geldpolitische Lagebeurteilung bekannt. Im Gegensatz zum Dezember, als der Lockerungsschritt gleich 50 Basispunkte betrug, beläuft sich die Reduktion dieses Mal auf einen Viertelprozentpunkt. Damit liegt der Schweizer Leitzins auf dem tiefsten Stand seit September 2022. Damals beendete die SNB das Negativzinsregime mit einer Straffung von - 0,25 auf 0,5 Prozent.

Die Ausübung des Mandats zur Wahrung der Preisstabilität und die gleichzeitigen Währungsmanipulator-Vorwürfe aus den USA strapazieren die geldpolitischen Möglichkeiten aufs Äusserste. Da zudem auch die Glaubwürdigkeit aufrechterhalten werden muss, grenzt diese Aufgabe an die berühmte Quadratur des Kreises.

Santosh Brivio, Senior Economist, Migros Bank

Die gestrige Senkung wurde von den Marktteilnehmenden so erwartet. Mehr noch: An den Terminmärkten war im Vorfeld eine Wahrscheinlichkeit von 23 Prozent eingepreist, dass die SNB die geldpolitischen Zügel gleich um 50 Basispunkte lockern und damit in negatives Terrain vorstossen werde.

Starker Handlungsdruck…
Zwar widersetzte sich das SNB-Direktorium dieser durchaus stattlichen Erwartung. Dennoch fiel auch die Entscheidung zum 25er-Schritt unter Zugzwang aus. «Hätte nämlich die Nationalbank gänzlich auf eine Zinssenkung verzichtet, wäre der Franken insbesondere zum Euro unter noch stärkeren Aufwertungsdruck geraten, womit der Deflationsimport nochmals zugenommen hätte», erklärt Santosh Brivio, Senior Economist der Migros Bank. Mit ebendiesem deflationären Druck begründet die SNB indessen auch die neuerliche Leitzinssenkung. Denn im Mai notierte die Jahresteuerung bei -0,1 Prozent und durchbrach damit den Zielkorridor von 0 bis 2 Prozent nach unten. Insofern erscheint die weitere geldpolitische Lockerung auf den ersten Blick durchaus als angezeigt.

…aber geringer Wirkungsgrad
Auf den zweiten Blick jedoch dürfte auch dem Nationalbankdirektorium um Martin Schlegel bewusst sein, dass auch ein Leitzins von 0 Prozent das Deflationsgespenst nicht verscheuchen wird. «Denn Gratisliquidität alleine kehrt das Vorzeichen bei der Preisentwicklung nicht um, da die deflationären Tendenzen nicht einer Konsumzurückhaltung geschuldet sind. Vielmehr wird die Deflation via starken Franken importiert», so Brivio. «Daran vermag aber auch das neue Leitzinsniveau kaum etwas zu ändern. Denn die Stärke der Landeswährung ist vor allem eine Folge geo- und handelspolitischer Unwägbarkeiten. Anleger suchen in unsicheren Zeiten Schutz im sicheren Schweizer Hafen und sehen dies als eine Art Versicherung. Ein Null-Zins verteuert zwar die ‹Prämie›, deswegen werden die Anleger aber nicht auf den Versicherungsschutz verzichten.» Die (trotz dieser bestenfalls sehr überschaubaren Wirkung) vorgenommene Leitzinssenkung primär auf die Markterwartungen zurückzuführen, ist daher nicht verkehrt, stellt aber nur die halbe Erklärung dar. «Denn tatsächlich ist die SNB zu einem beachtlichen Teil selbst schuld daran, dass die Terminmärkte sie in ihrer Entscheidung vor sich hertrieben», erklärt Brivio. «Die ohne Not erfolgte ‹Jumbo-Zinssenkung› vom Dezember 2025 und das öffentliche Liebäugeln mit Negativzinsen weckten überhaupt erst die Erwartungen, welchen die Nationalbank nun gerecht werden musste. Wenn SNB-Präsident Schlegel – wie etwa in einem SRF-Interview vom Januar – wiederholt sagte, dass Negativzinsen nicht undenkbar seien, ist ein entsprechendes Niederschlagen in den Markterwartungen keine eigentliche Überraschung.»

Unnötige Steine vermeiden
Das soll nicht bedeuten, dass die SNB-Ausgangslage ohne solche Äusserungen eine einfache gewesen wäre, meint Brivio. Er konzediert: «Die Ausübung des Mandats zur Wahrung der Preisstabilität in einem den Franken begünstigenden Umfeld und die gleichzeitigen Währungsmanipulator-Vorwürfe aus den USA strapazieren die geldpolitischen Möglichkeiten aufs Äusserste. Da zudem auch die Glaubwürdigkeit – mitunter das höchste Gut einer Notenbank – aufrechterhalten werden muss, grenzt diese Aufgabe an die berühmte Quadratur des Kreises.»

Umso wichtiger sei es, dass sich die SNB mit ihrer Rhetorik zwischen ihren Sitzungen nicht noch selbst Steine in den Weg legt. «Befeuert die SNB nicht erneut Spekulationen über einen negativen Leitzins, dürfte sie trotz nicht so schnell verschwindendem Deflationsdruck um ein erneutes Negativzinsregime herumkommen», so Brivio. «Da ein solches mit erheblichen Kollateralschäden verbunden wäre – Schmälerung von Pensionskassenrenditen, Bestrafung der Kleinsparer, Fehlallokation oder zusätzliche Befeuerung der Immobilienpreise –, hat die SNB alles Interesse daran, die Null-Prozentmarke nicht zu unterschreiten. Wir rechnen daher damit, dass die Währungshüter in ihrer Kommunikation zurückhaltender agieren werden, und erwarten dementsprechend bis auf Weiteres ein Verharren des Leitzinses bei null Prozent.»

Hauptbildnachweis: SNB