Die EZB gibt Gas und senkt den Leitzins zum zweiten Mal in Folge
Und wieder lieferte die EZB gestern, was die Markterwartungen bereits weitgehend vorwegnahmen. Angesichts des Rückgangs der Inflation und der schwachen Konjunktur senkte sie ihre Leitzinsen zum zweiten Mal in Folge um 25 Basispunkte und setzte den Quartalsrhythmus bei den Zinssenkungen aus. «Mit dieser Beschleunigung der Lockerung der Geldpolitik verlagert sich der Fokus von der Inflation auf die Konjunktur», erklärt Valentino Guggia, Ökonom der Migros Bank.
Im September lieferten die Wirtschaftsdaten wichtige Signale für die Europäische Zentralbank (EZB). Der Rückgang der Inflation setzte sich fort und die Inflationsrate lag zum ersten Mal seit April 2021 unter dem EZB-Ziel. Diese erfreuliche Nachricht muss unter Berücksichtigung folgender Aspekte eingeordnet werden:
- Erstens dürfte es sich um einen vorübergehenden Tiefpunkt handeln, da er von auslaufenden Basiseffekten bei den Energiepreisen beeinflusst wird.
- Zweitens gibt der Preisauftrieb bei den Dienstleistungen kaum nach: Die Teuerungsrate dieser Konsumkategorie verharrt weiterhin bei 4 Prozent. Das überdurchschnittliche Lohnwachstum und die hohen Lohnforderungen für die nächsten Tarifrunden erschweren die Entspannung des Preisauftriebs.
- Darüber hinaus deuten die aktuellen Daten und Umfragen auf einer Verlangsamung der konjunkturellen Erholung des Euroraums hin. Vor allem die grössten Volkswirtschaften der Eurozone tun sich mit der Erholung schwer und haben zudem mit einer angespanntern politischen Lage zu kämpfen.
Die EZB gibt den Quartalsrhythmus auf
«Gestern stand die EZB unter Zugzwang», erklärt Guggia. Wiederholt hatten sich sowohl die EZB-Präsidentin Christine Lagarde als auch andere EZB-Ratsmitglieder in den vergangen Wochen für eine Zinssenkung ausgesprochen. So löste die EZB das Versprechen ein und beschloss, ihre Leitzins um 0,25 Prozentpunkte zu senken: Der Einlagesatz liegt nun bei 3,25 Prozent, der Hauptrefinanzierungssatz bei 3,40 Prozent und der Spitzenrefinanzierungssatz bei 3,65 Prozent.
Valentino Guggia, Ökonom der Migros BankMit der Beschleunigung der geldpolitischen Lockerung vermittelt die EZB nämlich die Botschaft, dass die Inflation trotz der Hartnäckigkeit der Dienstleistungspreise kein wesentliches Risiko mehr darstellt.
«Die gestrige Zinssenkung steht im Widerspruch zum bisherigen vorsichtigen Vorgehen der EZB», so Guggia. «Mit der Beschleunigung der geldpolitischen Lockerung vermittelt die EZB nämlich die Botschaft, dass die Inflation trotz der Hartnäckigkeit der Dienstleistungspreise kein wesentliches Risiko mehr darstellt. Angesichts der geringeren Konsumneigung der Konsumenten befürchtet sie nicht, dass eine raschere Lockerung der Geldpolitik die Inflation wieder anheizen könnte.» Vielmehr erkenne die EZB die konjunkturelle Schwäche und versuche, die Wirtschaft durch niedrigere Finanzierungskosten anzukurbeln. «Wir rechnen mit einer zuerst schnelleren und dann im Verlauf des nächsten Jahres langsameren Gangart, um das Zinsniveau innerhalb der nächsten 12 Monate auf ein neutrales Niveau zu bringen», so Guggia.
Die Folgen für die SNB
Jede Zinssenkung der EZB verringert die Zinsdifferenz zur Schweizerischen Nationalbank (SNB) und erhöht den Druck auf das Wechselkurspaar EUR/CHF. «Da der heutige Zinsentscheid weitgehend eingepreist war, erwarten wir keine grossen Bewegungen am Devisenmarkt. Die SNB möchte den Aufwertungsdruck auf den Franken mit weiteren Leitzinssenkungen entgegenwirken. Eine Annäherung an die Nullgrenze scheint kein Tabu zu sein», resümiert Guggia.