Chancen und Risiken am Obligationenmarkt 2024

Der Zins ist zurück – das steigert auch die Aussichten auf dem Obligationenmarkt. Langfristig orientierte Anleger können so mit höheren Erträgen rechnen.

So erfreulich die Rückkehr des Zinses grundsätzlich ist, so herausfordernd erwies sie sich in den vergangenen zwei Jahren für die Obligationenmärkte und -Anleger. Denn steigende Zinsen führen zu Kursverlusten bei laufenden Obligationen. Schliesslich passen Obligationen mit niedrigerem Zinskupon ihre Rendite dem aktuellen Marktniveau an.

Tendenziell werden laufende Papiere mit niedrigeren Kupons unattraktiver, wenn neu emittierte Obligationen höhere Zinsen bieten. Anleger werden geneigt sein, ihre gehaltenen Papiere gegen neu emittierte mit höheren Zinssätzen auszutauschen. Um jedoch Käufer für die bestehenden Obligationen zu gewinnen, müssen diese für den niedrigeren Zinssatz entschädigt werden. Und das geschieht durch den Kauf zu einem niedrigeren Kurs und die Aussicht auf Kursgewinne, die den Gesamtertrag steigern. Da Obligationen am Ende der Laufzeit zum Nennwert von 100% zurückgezahlt werden, lassen sich derartige Kurserträge einfach kalkulieren, sodass die Kursentwicklungen Renditeveränderungen regelmässig recht exakt widerspiegeln. Das gilt auch umgekehrt: Sinken die Marktrenditen, steigen die Kurse laufender Obligationen.

Trotz aller kurzfristigen Volatilität ist zu erwarten, dass ein Zinsanstieg die beste wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung seit 20 Jahren für langfristige Anleger darstellt.

Kunal Mehta, Head of Fixed Income, Vanguard Europe

Der Kurseffekt ist dabei umso grösser, je länger die Restlaufzeit ist, weil sich die entsprechenden Gewinne (oder Verluste) auf viele Jahre verteilen. Gerade Papiere mit langer Restlaufzeit büssten daher zuletzt teilweise stark an Wert ein. Dem Finanzdatenanbieter Bloomberg zufolge verloren US-Obligationen mit Laufzeiten von zehn und mehr Jahren von ihren Höchstständen im März 2020 in der Spitze rund 45%. Die Ursache lag im Anstieg der Renditen, der in seinem Ausmass und seiner Geschwindigkeit beispiellos war. So erreichte die Rendite von US-Staatsobligationen mit zehnjähriger Laufzeit im Oktober vergangenen Jahres mit knapp 5% den höchsten Stand seit 16 Jahren. Auch in der Eurozone verzeichneten die Renditen von Langläufern langjährige Höchststände.

Mittlerweile sind die Renditen wieder etwas gesunken, liegen aber immer noch weit oberhalb des Niveaus, an das sich Anleger seit der globalen Finanzkrise 2008 gewöhnen mussten. Kurzfristig, das zeigen diese Schwankungen, bleiben die Unsicherheiten gross. Doch können gerade vorübergehende Herausforderungen eine Gelegenheit auf lange Sicht bieten, denn der Null-Zins gehört der Vergangenheit an. Zwar ist davon auszugehen, dass die Zentralbanken in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 die Leitzinsen senken werden, sofern sich abzeichnet, dass die Inflation die angestrebten Zielwerte erreicht. Dennoch gehen wir davon aus, dass sich die Leitzinsen auf einem höheren Niveau einpendeln werden als nach der Finanzkrise und während der Covid-19-Pandemie. Das Gleichgewichtsniveau des Realzinses, welches das Wirtschaftswachstum weder bremst noch beschleunigt, ist gestiegen. Das ist in erster Linie auf die demografische Entwicklung, das langfristige Produktivitätswachstum und höhere strukturelle Haushaltsdefizite zurückzuführen. Dieses höhere Zinsumfeld wird nicht Monate, sondern Jahre andauern. Es handelt sich um eine strukturelle Veränderung, die über den nächsten Konjunkturzyklus hinaus andauern wird.

Prognose erhöht
Trotz aller kurzfristigen Volatilität ist zu erwarten, dass dieser Zinsanstieg die beste wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung seit 20 Jahren für langfristige Anleger darstellt. Auch unsere Renditeerwartungen für Obligationen haben sich erhöht. Unsere Prognose sieht vor, dass Obligationen des Euroraums in den nächsten zehn Jahren eine nominale jährliche Rendite von 2,9 bis 3,9 % erreichen werden. Vor Beginn des Zinserhöhungszyklus hatten wir noch mit einer annualisierten Rendite von -0,5 bis 0,5% gerechnet. Ebenso erwarten wir für globale Obligationen ausserhalb des Euroraums annualisierte Renditen von 2,8 bis 3,8% in den nächsten zehn Jahren, verglichen mit einer Prognose von -0,5 bis 0,5%, als die Leitzinsen niedrig waren. Dies ermöglicht es, Obligationen nicht nur zu Absicherungszwecken einzusetzen, sondern auch als Ertragsquelle zu nutzen. Die Wahrscheinlichkeit mit 60% Aktien und 40% Obligationen im Portfolio eine 10-jährige annualisierte Rendite von mindestens 5% zu erzielen, ist seit 2021 von null auf aktuell 44% gestiegen.

Für langfristig orientierte Anleger eröffnen sich Chancen, auch mit überschaubaren Risiken annehmliche Erträge zu erwirtschaften, nachdem die Zinsen seit der globalen Finanzkrise auf lange Sicht niedrig waren. Für Investoren mit entsprechender Risikotoleranz könnte es angemessen sein, eine defensivere Risikoposition einzunehmen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund höherer erwarteter Renditen für festverzinsliche Wertpapiere und eines Aktienmarktes, der die Auswirkungen der Rückkehr zu einer gesunden Geldpolitik noch nicht vollständig reflektiert hat. Einen einfachen Weg, die Obligationenquote im Portfolio zu erhöhen, bieten globale Obligationenfonds und hier insbesondere Obligationen-ETFs. Sie streuen breit über Regionen, Laufzeiten und Emittenten und verringern so die mit einzelnen Papieren oder Segmenten der Anlageklasse verbundenen Risiken. ETFs bilden etablierte Indizes ab und punkten mit hoher Transparenz und geringen Kosten. Beachten sollten Anleger dabei, dass er Ertrag von Obligationen, die nicht in Euro notieren, in erheblichem Mass von der Entwicklung der Wechselkurse abhängt. Um daraus resultierende Schwankungen zu vermeiden und die reinen Renditen zu erhalten, ist es sinnvoll, auf währungsgesicherte Produkte zu setzen.

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