Macbook Pro M1 im Experten-Test: «16 GB RAM sind eigentlich ein absolutes No Go»

Laut Apple ist das neue Macbook dank M1-Chip ein wahres Leistungswunder. Um herauszufinden, ob sich damit tatsächlich ernsthaft arbeiten lässt, haben wir das Gerät an eine Software-Entwicklungsfirma zum Testen ausgeliehen.

Der M1-Chip im Macbook Pro ist zweimal schneller als die schnellste CPU oder GPU der Konkurrenz. Das behauptet zumindest Apple. Das neue SoC (System on a chip), welches Grafikkarte, Prozessor und RAM auf einer Platine vereint, ist auf dem Papier ein beeindruckendes Stück Technik. Apple kehrt damit Intel den Rücken und setzt fortan komplett auf ARM. Waren ARM-Chips bisher eher für ihre Energieeffizienz als Leistung bekannt, soll der M1 nun in beidem brillieren.

Um Apples Behauptungen zu überprüfen, habe ich ein neues Macbook Pro an eine befreundete App-Entwicklungs-Firma ausgeliehen. Zu den Kunden von Smoca gehören beispielsweise SBB, BMW, Swiss Life Select oder Teletext. Für Entwicklung von Apps, Datenbanken, Servern etc. setzt die Firma primär auf Macbook Pros. Sie liessen sich nicht zweimal bitten, als ich sie fragte, ob sie ein Macbook M1 testen wollen.

Eine gewisse Skepsis war aber durchaus vorhanden. «Wir arbeiten mit maxed out Macbooks, also Intel i9 mit 32 oder besser noch 64 Gigabyte RAM. Die 16 Gigabyte im neuen M1 sind darum eigentlich ein absolutes No Go», erklärt mir Benjamin Arnold bei meinem Besuch im Winterthurer Technopark. Die vielen RAM werden für die ganzen Entwicklungstools, Backend-Lösungen und Entwicklungsumgebungen benötigt. «Jedes Devkit verschlingt locker drei bis vier Gigabyte RAM.» Der iOS- und Web-Entwickler muss es wissen. «Und vergiss nicht den Browser, Slack, Spotify etc. Ich brauche auch Virtual Machines (VM). Das läppert sich schnell zusammen», ergänzt David Gunzinger. Er ist der CTO und Mitgründer von Smoca.

Benjamin Arnold (l.) und David Gunzinger haben das neue Macbook einen Monat intensiv getestet.

Neber der RAM-Skepsis hielt Benjamin vor dem Test auch Apples Leistungsversprechen für etwas hoch gegriffen. «Ich ging davon aus, dass zwar das meiste funktionieren würde, aber mehr als 25 Prozent mehr Leistung habe ich nicht erwartet.» Mit funktionieren meint Benjamin den Umstand, dass sich die neuen Macbooks durch den ARM-Prozessor von der x86-Architektur verabschiedet haben. Das bedeutet, dass alle Anwendungen auf das neue System portiert werden müssen. Weil das aber nicht von heute auf morgen passiert, hat Apple mit Rosetta 2 einen Emulator in macOS integriert, mit dem 99 Prozent aller Anwendungen automatisch auch auf M1-Macbooks laufen sollen.

Tun sie das auch? «Der Vivaldi-Browser läuft wie mit einem gammligen alten Laptop.» Das ist aber die Ausnahme. Ansonsten konnte Benjamin kaum Einschränkungen feststellen. Im Gegenteil. Drei Viertel aller Anwendungen, die bei Smoca täglich zum Einsatz kommen, laufen bereits nativ, sprich, sie wurden portiert. Einige Entwicklungstools bereiten zwar noch Probleme. Entweder fehlt die Portierung oder sie sind auf Anwendungen angewiesen, die noch nicht aktualisiert wurden oder nur die allerneueste Version wurde für ARM portiert. «Das bringt dir aber nichts, wenn deine Software nicht mit der neusten Version kompatibel ist», sagt Benjamin während er einen neuen Benchmark startet.

Gimmicks wie die Touchbar sind für Smoca unwichtig, viel mehr freut man sich über die Rückkehr einer anständigen Tastatur.

Von den wenigen Ausnahmen abgesehen, sind die beiden beeindruckt, was Apple mit Rosetta 2 kreiert hat. «Diese CPU-Emulation ist die performanteste, die es gibt. Rosetta ist einerseits verdammt gut programmiert und liefert andererseits einfache krasse Leistung», lobt David. Fast alle Programme laufen «out of the box», bestätigt auch Benjamin. «Für gewisse Anwendungen benötigen wir aber spezielle Treiber, da müssen wir noch abwarten. Und mit Audiosoftware gab’s schon bei Big Sur Problemen. Solche Benutzer werden am M1 keine Freude haben», meint David mit einem wissenden Grinsen.

Reichen die RAM?
Wie sieht es mit der RAM-Auslastung aus? Sind 16 Gigabyte wirklich zu wenig? Benjamin gibt Entwarnung: «Da wir das Gerät noch nicht seit Monaten im Betrieb haben, laufen noch nicht ganz so viele Anwendungen gleichzeitig darauf. Aktuell sind bei mir 25 GB RAM belegt und ich merke keine Geschwindigkeitseinbusse.» Wenn mehr RAM benutzt werden, als physisch im Gerät vorhanden, lagert das Betriebssystem unwichtige Daten auf die SSD aus. Das ganze nennt sich RAM Swapping. Der Zugriff auf die SSD ist normalerweise massiv langsamer als wenn die Daten im RAM gespeichert werden können. Apple hat da offenbar gezaubert, wenn auch möglicherweise auf Kosten der Lebensdauer. «Es ist zwar reine Spekulation, aber ich hab gelesen, dass M1-Geräte einen sehr hohen SSD-Verschleiss haben, was am intensiven RAM-Swapping liegen könnte.» Beim Intel-Macbook ist Benjamin nie ans RAM-Limit geraten, so dass RAM-Swapping nötig gewesen wäre.

Tempo beim Kompilieren
RAM hin oder her. Liefert der M1-Chip so viel Leistung wie Apple behauptet und wofür wird diese Leistung überhaupt benötigt? «Am stärksten merkst du den Unterschied beim Kompilieren. Das ist der Vorgang, bei dem geschriebener Code, im Falle von iOS-Apps mit der Programmiersprache Swift, in Maschinensprache umgewandelt wird. Je nach Anwendungen wird bei jedem Speichern die ganze App rekompiliert oder sie mühlt einfach sonst immer im Hintergrund», erklärt mir Benjamin das tägliche Brot eines Software-Entwicklers. Je nach Projekt seien das enorm viele Hintergrundberechnungen, die das Macbook anstellen muss. Beim Entwickeln von iOS-Apps ist jedes Quäntchen Leistung von Vorteil. «Immer wenn du kurz simulieren willst, was dein Code bewirkt, bist du froh, wenn es nur 30 Sekunden statt einer Minute dauert», so Benjamin. «Das klingt vielleicht nach wenig, aber wenn du es 50 bis 100 mal am Tag machen musst, ist das ein gigantischer Unterschied.» Bei allen von Smoca getesteten Projekten halbierte sich fast quer durchs Band die Kompilierzeit.

Ein no-brainer
Für David und Benjamin ist das Fazit nach rund einem Monat mit dem M1 klar. «Schade, haben wir uns gerade neue Laptops gekauft, sonst würde ich definitiv zuschlagen», sagt der CTO. Nicht nur wegen der Leistung, sondern auch wegen dem Preis. «Ein voll ausgestattetes Macbook Pro mit Intel kostet uns deutlich mehr als eines mit M1. Dafür bekommen wir erst noch weniger Leistung.» Für David ist das ganze ein Nobrainer. Dazu brauche das Gerät erst noch länger, bis sich der Lüfter einschaltet. «Dafür ist der Ton wiederum deutlich ekliger», sagt Beni mit schmerzverzerrtem Gesicht. Und Anschlüsse müsse es auch mehr haben, sagen die beiden einstimmig. «Und dann bitte nicht nur auf der linken Seite», doppelt Benjamin nach. Auch eine grössere Bildschirmdiagonale als 13 Zoll würden sich die beiden wünschen.

Die Anschlüsse solle Apple das nächste mal etwas aufstocken und bitte auf beide Seiten verteilen.

«Privatanwender müssen überhaupt nicht überlegen, sofern sie keine Spezial- oder Musiksoftware verwenden. Für Entwickler gibt es noch ein paar Schranken, aber die werden auch noch weggepatcht», ist David überzeugt. Ich habe fast ein bisschen schlechtes Gewissen, als ich Ihnen das Macbook wieder wegnehmen muss. Aber als ich beim Herausgehen Sätze aufschnappe wie, «Was, wenn es mir einfach auf den Boden fällt?» oder «Mit kleinen Kindern im Home Office passiert das sowieso ständig» müssen die beiden vielleicht doch nicht mehr bis zum nächsten regulären Firmenupgrade warten.