Razzia bei «Inside Paradeplatz» – Schweizer Justiz torpediert die Pressefreiheit und keiner schaut hin

Der Sachverhalt könnte grotesker und fragwürdiger nicht sein – und muss uns allen zu denken geben. Die Zürcher Staatsanwaltschaft durchsucht das Redaktionsbüro von Lukas Hässig, der das Online-Portal «Inside Paradeplatz» betreibt. Hinter diesem unrühmlichen Vorgang stehen die hartnäckigen Recherchen des Journalisten, die auf das Jahr 2016 zurückgehen. Sie führten letztlich zum tiefen Fall von Pierin Vincenz und von Beat Stocker. Die beiden zentralen Figuren in der Raiffeisen-Affäre wurden 2022 aufgrund krimineller Insidergeschäfte, die massgeblich von Lukas Hässig aufgedeckt wurden, erstinstanzlich zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider hat es im April 2023 als damalige Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes auf den Punkt gebracht. An der Verleihung des Swiss Press Award hielt sie in ihrer Eröffnungsrede fest: «Nur wenn Journalisten ihrer Arbeit ohne Angst, ohne Schere im Kopf nachgehen können, ist die Pressefreiheit gewährleistet.» Wer nun aber in Nachgang an die Razzia beim Online-Portal «Inside Paradeplatz» einen medialen Aufschrei erwartet hat, wurde enttäuscht: Die Schweizer Medienbranche ignoriert diesen rechtstaatlich fragwürdigen Vorgang grossmehrheitlich und schweigt, obwohl der Schutz der Pressefreiheit integraler Bestandteil des eigenen Selbstverständnisses sein müsste. Auch die Rolle des zuständigen Richters am Zürcher Obergericht, der die Razzia angeordnet hat, irritiert. Offenbar erfolgte die Razzia auf Druck eines Privatklägers – dem Vernehmen nach soll es sich dabei Beat Stocker handeln.

Die Presse muss die Freiheit haben, alles zu sagen, damit gewisse Leute nicht die Freiheit haben, alles zu tun.

Stewart Alsop, US-Zeitungskolumnist (1914 – 1974)

Lukas Hässig, der Betreiber des Online-Portals «Inside Paradeplatz», polarisiert. In der Finanzindustrie wird er aufgrund seiner schonungslosen Berichterstattung und seiner zahlreichen Quellen, die ihm immer wieder brisante Informationen zutragen, gefürchtet. Umgekehrt feiert ihn seine Leserschaft. Sie sehen ihm seine zuweilen durchaus auch seichten oder wenig fundierten Redaktionsbeiträge nach, weil er eben auch immer wieder mit publizistischen Highlights überzeugt. So deckt Lukas Hässig regelmässig Missstände und Fehlentwicklungen auf dem Schweizer Finanzplatz auf, die seine Berufskollegen entweder nicht zu erkennen vermögen oder aber aufgrund von Beisshemmungen nicht aufgreifen. Für diese journalistischen Lichtblicke wurde er von der eigenen Berufsgenossenschaft verschiedentlich zum Journalisten des Jahres gekürt, obwohl sein boulevardesker und konfrontativer Redaktionsansatz natürlich auch in der Branche nicht unumstritten ist. Dass sich seine Berufskollegen im Zusammenhang mit der erfolgten Razzia in den Redaktionsräumen von «Inside Paradeplatz» grossmehrheitlich bedeckt halten und sich nicht bemüssigt sehen, für die Pressefreiheit in der Schweiz einzustehen, illustriert das ambivalente Verhältnis der Medienbranche zu Lukas Hässig. Dabei sollten persönliche Animositäten eigentlich zurückstehen – zu viel steht auf dem Spiel. Die Pressefreiheit, und damit verbunden die Rolle der Medien als vierte Macht im Staate, sind ein kostbares Gut. Dass er von der eigenen Zunft nun derart im Regen stehen gelassen wird, ist enttäuschend und zeugt von einem eklatanten Mangel an Sensibilität. Ich persönlich hätte zudem mehr Solidarität erwartet.

Eine weitere unrühmliche Rolle kommt in diesem Kontext der Schweizer Justiz zu, namentlich dem Zürcher Obergericht. Dass sich der zuständige Richter zum dienstfertigen Gehilfen eines Privatklägers macht, der besagte Razzia mutmasslich angestossen hat, ist erschreckend und alarmierend zugleich. Fairerweise sei an dieser Stelle festgehalten, dass die involvierte Staatsanwaltschaft deutlich souveräner agiert und mehr Augenmass an den Tag gelegt hat. Das Verfahren im Rahmen der «Verletzung des Bankkundengeheimnisses», welches der Razzia bei «Inside Paradeplatz» zugrunde liegt, wurde von ihr zweimal eingestellt – und vom Zürcher Obergericht auf der Grundlage des fragwürdigen Artikel 47 im Bankengesetz jedes Mal wieder in Kraft gesetzt. Der Artikel besagt, dass Medienschaffende sich strafbar machen, wenn sie Informationen, die das Bankkundengeheimnis betreffen, weiterverbreiten. Er wurde allerdings nie mit der Absicht formuliert, Journalisten zu drangsalieren, sondern sollte das Geschäft mit gestohlenen Kundendaten erschweren – zumindest war das bei der Verabschiedung des Artikels 47 im Jahr 2015 durch das Schweizer Parlament die Intention.

Noch ein Wort zu Beat Stocker: Das dieser alle zur Verfügung stehenden Rechtsmittel nutzt, um seine Reputation wiederherzustellen, kann man ihm nicht vorwerfen. Im Gegensatz zu Pierin Vincenz, der auch missliebige Medienberichte fast schon stoisch über sich ergehen lässt und souverän wegsteckt, verfolgt er augenscheinlich eine deutlich offensivere Strategie. Ob er sich damit zu rehabilitieren vermag, darf bezweifelt. werden. Unzweifelhaft hingegen ist der Umstand, dass er am Zürcher Obergericht auf einen Richter gestossen ist, der die Pressefreiheit mit Füssen tritt. Das ist inakzeptabel und eines Rechtsstaates unwürdig.

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