Causa Vincenz: Wird der Schweizer Finanzplatz zur Lachnummer?

Heute beginnt am Zürich Bezirksgericht die lang erwartete Verhandlung gegen insgesamt sieben Personen, darunter der vormalige Raiffeisen-CEO Pierin Vincenz und Beat Stocker, langjähriger Raiffeisen-Berater und Ex-Chef der Kreditkartenfirma Aduno. Die Rede ist vom grössten Schweizer Wirtschaftsprozess seit der juristischen Aufarbeitung der Swissair-Pleite vor 15 Jahren.

Sowohl für die Staatsanwaltschaft als auch für die beiden Hauptangeklagten steht viel auf dem Spiel. Gleiches gilt für den Schweizer Finanzplatz. Abhängig davon, zu welchem Urteil die erste Rechtsinstanz gelangt, besteht die Gefahr eines erheblichen Reputationsverlustes. Der helvetischen Financial Community drohen Spott und Häme, falls sich die Justiz nicht durchzusetzen vermag. Und auch die Ermittlungsbehörden dürften schlecht aussehen, wenn sie nicht reüssieren.

Hohe Hürden für die Zürcher Staatsanwaltschaft
Für Pierin Vincenz und Beat Stocker sowie für ihre Mitangeklagten gilt selbstredend bis auf Weiteres die Unschuldsvermutung. Dennoch ist die Erwartungshaltung breiter Teile der Gesellschaft in Bezug auf eine Verurteilung zumindest der beiden Hauptangeklagten gross – möglicherweise zu gross. Zugegeben, die Vorwürfe der Justiz wiegen schwer und sind umfangreich. Sie reichen von Veruntreuung, über gewerbsmässigen Betrug bis hin zu Urkundenfälschung. Der Aufwand der Ermittlungsbehörden hierfür war gigantisch. Zum Schluss sollen sie über 500 Bundesordner sowie 50 Kisten beschlagnahmten Materials zusammengetragen und ausgewertet haben. Auch das geforderte Strafmassmass ist hoch. Der zuständige Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel will die vermuteten Verfehlungen von Pierin Vincenz und Beat Stocker mit einer Freiheitsstrafe von je sechs Jahren sanktionieren. Für vier Mitangeklagte werden 2 bis 2,5 Jahre und in einem Fall eine hohe sechsstellige Geldstrafe beantragt. Ob es zu einer Verurteilung kommt, ist allerdings keineswegs sicher. Wirtschaftsdelikte sind häufig schwierig zu beweisen. Einzelne Vorgänge sind möglicherweise bereits verjährt und nicht mehr justiziabel. Es droht ein mehrjähriges Verfahren über verschiedene Rechtsinstanzen hinweg. Zudem wissen die beiden Hauptangeklagten sehr erfahrene, um nicht zu sagen gefürchtete, Strafverteidiger an ihrer Seite. Für die Zürcher Staatsanwaltschaft ist der Prozess deshalb eine Nagelprobe. Es wird sich zeigen, ob die Justiz in der Lage ist, Recht nicht nur einzufordern, sondern auch über eine stichhaltige Beweiskette durchzusetzen. Entscheidend dürfte sein, inwieweit die beiden Hauptangeklagten sich gegenseitig schützen. Zumindest Beat Stocker hat sich kurz vor Prozessbeginn in einem prominenten Interview deutlich von Pierin Vincenz distanziert. Inwieweit der versuchte mediale Befreiungsschlag erfolgreich war, wird sich zeigen. Sowohl Stockers Ausführungen, als auch der Zeitpunkt seiner medialen Initiative, warfen zumindest verschiedene Fragezeichen auf.

Klar ist, dass die Öffentlichkeit klare Schuldsprüche und unbedingte Freiheitsstrafen erwartet. Wer mit dem Schweizer Rechtsystem – insbesondere im Bereich der Wirtschaftskriminalität – vertraut ist, weiss allerdings, dass Recht haben und Recht bekommen, zweierlei paar Schuhe sind. Eine Erfahrung, die möglicherweise auch die Zürcher Staatsanwaltschaft machen wird.

Hauptbildnachweis: Unsplash