Zentralbanken begeben sich auf das Terrain möglicher politischer Fehler
Könnte es sein, dass wir in den Bereich eines globalen geldpolitischen Fehlers kommen? Angesichts der jüngsten aggressiven Haltung einiger grosser Zentralbanken der Industrieländer ist diese Frage berechtigt. Es besteht nun ein erhebliches Risiko, dass diese Zentralbanken in ihrem Bestreben, die Inflation einzudämmen, zu viel Druck ausüben und dazu beitragen, die Weltwirtschaft in eine Rezession zu stürzen sowie eine Rezession an den Finanzmärkten auszulösen. Chinas Zentralbank hingegen könnte eine andere Art von politischem Fehler begehen, indem sie die Politik nicht genug lockert, um die Wirtschaft des Landes zu unterstützen.
EZB: Extrem hawkistische Haltung
Die EZB lieferte das wohl offensichtlichste Beispiel für die extrem hawkistische Haltung einer grossen Zentralbank in letzter Zeit. Auf ihrer Juni-Sitzung hob die EZB die Zinssätze um 25 Basispunkte (BP) an, und Präsidentin Christine Lagarde erklärte, sie erwarte eine weitere Anhebung im Juli. Vor allem aber überraschte die EZB die Märkte, indem sie ihre Inflationsprognose für 2025 anhob – die Konsenserwartungen waren auf einen Rückgang der Inflationsaussichten gerichtet gewesen, so dass die Anhebung ein starkes geldpolitisches Signal aussandte.
Arif Husain, Chief Investment Officer, T. Rowe PriceEs besteht ein erhebliches Risiko, dass diese Zentralbanken in ihrem Bestreben, die Inflation einzudämmen, zu viel Druck ausüben und dazu beitragen, die Weltwirtschaft in eine Rezession zu stürzen sowie eine Rezession an den Finanzmärkten auszulösen.
Infolge dieser revidierten Prognose für eine höhere Inflation könnte die EZB unserer Meinung nach auf ihrer nächsten Sitzung im September sogar eine weitere Zinserhöhung vornehmen. Wie die meisten Zentralbanken hat die EZB jedoch keine gute Erfolgsbilanz bei der genauen Vorhersage der Inflation, so dass es durchaus möglich ist, dass die Inflation niedriger ausfällt als prognostiziert, was zu einer übermässigen Straffung der Geldpolitik führt.
Fed: Zinssenkungen nicht vor 2025
Obwohl die Fed die Zinssätze auf ihrer Juni-Sitzung nach zehn aufeinanderfolgenden Erhöhungen um insgesamt 500 Basispunkte stabil hielt, zeigte die Zusammenfassung der Wirtschaftsprojektionen (SEP), dass die Entscheidungsträger davon ausgehen, die Zinssätze im Jahr 2023 noch zweimal anzuheben. Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell unterstrich den scheinbar muskulösen Ansatz der Fed zur Eindämmung der Inflation, indem er erklärte, dass Zinssenkungen für einige Jahre unwahrscheinlich seien. Dies könnte Teil der Bemühungen gewesen sein, die Märkte davon zu überzeugen, in diesem Jahr keine Zinssenkungen einzupreisen, und es hat funktioniert – Terminkontrakte nach der Fed-Sitzung zeigten Zinssenkungen ab Anfang 2024. Powells Bemerkung, dass mit Zinssenkungen nicht vor 2025 zu rechnen sei, stand jedoch im Widerspruch zu den Projektionen des SEP, die eine Lockerung um 100 Basispunkte im Jahr 2024 vorsahen. Die Fed hat angedeutet, dass sie die kumulativen Auswirkungen der geldpolitischen Straffung bei der Entscheidung über weitere Zinserhöhungen berücksichtigen wird, was darauf hindeutet, dass sie sich zwischen den Zinserhöhungen wahrscheinlich mehr Zeit lassen wird. Aber wird das ausreichen, um eine Rezession zu verhindern? Die Starrheit der Kerninflation in den USA und das Bestreben der Fed, die Inflation auf ihr 2%-Ziel zurückzuführen, könnten leicht dazu führen, dass die Fed die Zinsen zu hoch ansetzt und nur langsam senkt, wenn die Wirtschaft in eine Rezession gerät.
BoE: Bei Inflationsbekämpfung im Hintertreffen
Die BoE schien auf der richtigen Seite des Wandels zu stehen, als sie als eine der ersten grossen Zentralbanken der Industrieländer die Zinsen anhob, nachdem sich die Wirtschaft 2020 von der pandemiebedingten Rezession erholt hatte. Doch dann vertrat sie über weite Strecken des Jahres 2022 eine «Keine Sorge, die Inflation wird zurückgehen»-Haltung. Infolgedessen geriet sie bei der Inflationsbekämpfung ins Hintertreffen, und die Verbraucherpreisinflation in Grossbritannien schnellte auf weit über 10% hoch. Nun fordern die Beschäftigten des öffentlichen Sektors in Grossbritannien massive Lohnerhöhungen, was Befürchtungen aufkommen lässt, dass eine Lohn-Preis-Spirale in Gang kommen könnte. Als Reaktion darauf überraschte die BoE die Märkte auf ihrer Juni-Sitzung mit einer unerwartet starken Anhebung um 50 Basispunkte auf 5%, was zu der Erwartung führte, dass ihr Endsatz für diesen Zyklus bei 6% liegen wird. Die Hypothekenzinsen könnten 8% erreichen, was die Verbraucherausgaben in einem Land, in dem Hypotheken mit festem Zinssatz selten sind, erdrücken würde. Unter dem Druck der immer noch hohen Inflation könnte die BoE die Zinsen leicht auf ein Niveau anheben, das die Wirtschaft in eine Rezession stürzen würde.
PBOC: Zu zögerlich
Natürlich können die Fehler der Zentralbankpolitik unterschiedliche Formen annehmen. Anstatt die Zinssätze zu weit anzuheben, könnte China sie nicht aggressiv genug senken, um sein Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten. Die PBOC senkte Anfang Juni ihren Leitzins für einjährige mittelfristige Kredite um wenige 10 Basispunkte, die erste Senkung seit August 2022. Es folgten zwar geringfügige Senkungen der Leitzinsen für ein- und fünfjährige Kredite, aber Chinas Wirtschaft gerät nach der Null-Covid-Politik eindeutig ins Stocken und könnte Schwierigkeiten haben, selbst das relativ bescheidene jährliche Wachstumsziel von 5% zu erreichen, welches die Regierung für 2023 festgelegt hat. China ist jedoch eine Anomalie in einer Welt, in der sich viele Zentralbanken der Industrieländer um die Eindämmung der Inflation bemühen. Wenn diese Zentralbanken ihre Zinserhöhungszyklen angesichts der hartnäckigen Inflation ausdehnen, könnten sie der Wirtschaft auf lange Sicht mehr Schmerzen bereiten. Im Gegensatz dazu senken einige Zentralbanken der Schwellenländer die Inflation erfolgreich, nachdem sie die Zinssätze schneller und deutlicher angehoben haben. Die Zentralbanken von Ländern wie Brasilien erwägen nun Zinssenkungen, was uns zu der Frage veranlasst, ob die Anleihen dieser Länder in Landeswährung mit einer übermässigen Risikoprämie bewertet sind – und ob die Risikoprämie für Staatsanleihen der Industrieländer ausreicht.