Krisen-Déjà-vu in Schwellenländern?

Um die aktuelle Entwicklung in den Schwellenländern nachzuvollziehen, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Nach dem Jahrzehnt hoher weltweiter Inflation und hohen Zinsen in den 70er Jahren litten viele lateinamerikanische Länder in den 80er Jahren unter Hyperinflation und mussten ihre Auslandsschulden in die später als «Brady Bonds» bekannten Anleihen umstrukturieren. Darüber hinaus waren mehrere ölexportierende Länder in den 80er Jahren angesichts der niedrigen Ölpreise gezwungen, die Währungsbindung an den US-Dollar aufzuheben und ebenfalls ihre Auslandsschulden neu zu strukturieren.

Wie in den 70er Jahren ist die Inflation heute weltweit hoch und die Zentralbanken heben die Zinsen kräftig an. «Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich», heisst es. Die hohe globale Inflation, die wir derzeit erleben, ähnelt der Teuerung in den Siebzigerjahren, und die Anleihen von 19 Schwellenländern im EMBI Global Diversified Index werden derzeit mit Spreads von über 1.000 Basispunkten auf US-Staatsanleihen gehandelt, also mit einer Rendite von mehr als 14% gegenüber ihren auf Dollar lautenden Anleihen. Das bedeutet, dass diese Länder derzeit keinen Zugang zu den globalen Kapitalmärkten haben.

Kleine Schwellenländer handeln opportunistisch
Mehrere Analysten sind zu dem Schluss gekommen, dass einem Land ohne Marktzugang bald die Liquidität ausgehen dürfte und es gezwungen sein wird, seine Schulden umzustrukturieren. Diese scheinbar logische Schlussfolgerung beruht jedoch auf der Annahme, dass Schwellenländer die Fälligkeit ihrer Schuldtitel laufend verlängern müssen, so wie es Industrie- und grosse Schwellenländer in der Regel tun. Doch für die meisten Schwellenländer ist dies nicht der Fall, da sie in der Regel eher opportunistisch und selten Hartwährungsanleihen wie Eurobonds ausgeben. Tatsächlich haben die meisten afrikanischen Eurobond-Emittenten keine nennenswerten Fälligkeiten bis 2024 oder 2025. Sie können es sich also leisten, sich von den globalen Kapitalmärkten fernzuhalten, bis sich die globalen Finanzierungsbedingungen verbessert haben. Darüber hinaus können sich Staaten beim Verlust des Marktzugangs in der Regel auf mehrere Kreditgeber der letzten Instanz stützen. Dies gilt nicht für Emittenten von Unternehmensanleihen, die selten Zugang zu solchen Kreditgebern haben. Es sei denn, sie gelten als Unternehmen von nationaler Bedeutung oder als systemrelevant. In diesem Fall können sie von staatlicher Seite gerettet werden. Bei den Schwellenländern fungieren der Internationale Währungsfonds (IWF) und andere multilaterale Institutionen wie die Weltbank sowie regionalen Entwicklungsbanken als Kreditgeber letzter Instanz. Zudem geniessen verschiedene Länder Unterstützung durch bilaterale Partner, die diese Rolle ebenfalls übernehmen können. So wird Ägypten beispielsweise durch die an Petrodollars reichen Golfstaaten unterstützt.

Die hohe globale Inflation, die wir derzeit erleben, ähnelt der Teuerung in den Siebzigerjahren.

Carlos de Sousa, Portfoliomanager, Vontobel

Eigene Finanzsysteme sichern Defizit ab
Grössere Schwellenländer haben zudem ausgereifte inländische Finanzsysteme entwickelt, die einen Grossteil ihres Haushaltsdefizits abdecken. Ende der 1990er-Jahre, als die inländischen Anleihenmärkte noch deutlich unterentwickelt waren, war dies noch nicht der Fall. In den meisten Ländern machen sogenannte «gebundene» Anleger einen wichtigen Anteil des nationalen Finanzsystems aus. Dabei handelt es sich in der Regel um Pensionsfonds und stark regulierte Banken, denen kaum eine andere Möglichkeit bleibt, als die Laufzeiten inländischer Staatsanleihen zu verlängern – und zwar manchmal zu Zinssätzen, die für ausländische Anleger unattraktiv erscheinen. Allerdings befinden sich auch einige «faule Äpfel» im Korb. Im Falle von Ghana sehen wir beispielsweise eine hohe Wahrscheinlichkeit einer Umschuldung, da sich das Land stärker als der Rest des afrikanischen Kontinents auf kommerzielle Darlehen verlassen hat. Im Gegensatz zu Ghana setzt der Grossteil der Region stark auf bilaterale und multilaterale Vorzugsfinanzierungen statt auf Eurobonds. Mittlerweile werden Ghanas Eurobonds unter 40 Cent je US-Dollar gehandelt, was deutlich unter dem durchschnittlichen historischen Erholungswert von 52 bis 53 Cent je Dollar bei einer Umstrukturierung von Staatsschulden in Schwellenländern liegt. Daher ist es unwahrscheinlich, dass ein Anleger, der zum heutigen Zeitpunkt ghanaische Staatsanleihen kauft, über einen Zwei-Jahres-Zeitraum Verluste verzeichnen wird – selbst bei einer Umschuldung der Anleihen. Niedrige Anleihenkurse schützen die Anleger weitgehend vor Umstrukturierungsverlusten.

Aus der Vergangenheit gelernt
Die meisten Schwellenländer verfügen über einen flexiblen Wechselkurs, der sich an die externen Bedingungen anpasst. Das war in den Neunzigerjahren, als die Währungen vieler Schwellenländer an den US-Dollar gekoppelt waren, nicht der Fall. Wenn die Importkosten eines Landes plötzlich stark zunehmen wie etwa aufgrund rasch steigender Erdgaspreise, verliert die Währung in der Regel an Wert. Dadurch sinkt die Kaufkraft der Einwohner in Bezug auf importierte Waren, doch die Exporte werden im Vergleich zum Rest der Welt wettbewerbsfähiger. Mit Blick auf die Aussenbilanz erscheint dies deshalb günstig, da so Zahlungsbilanzkrisen vermieden werden, wie sie beispielsweise die asiatischen Länder in den späten Neunzigerjahren erlebten, weil ihre Währungen an den US-Dollar gekoppelt waren. Doch der geringere Konsum importierter Güter kann auch eine Rezession bedeuten, vor allem im Falle besonders offener Volkswirtschaften.

Weitreichende Krise unwahrscheinlich
Das aktuelle globale makroökonomische Umfeld birgt viele Herausforderungen. Es dürfte in den kommenden zwei bis drei Jahren tatsächlich zu weiteren Restrukturierungen von Staatsschulden kommen, da nicht alle Länder solide Fundamentaldaten aufweisen. Da jedoch verschiedene Kreditgeber letzter Instanz bereitstehen und die meisten Entwicklungsländer nur recht unregelmässig Eurobonds emittieren, dürften einige Länder eine Zeitlang gut ohne Marktbeteiligung zurechtkommen, ohne dass eine Umschuldung erforderlich wird. Darüber hinaus steht die Tatsache, dass die meisten Schwellenländer über flexible Wechselkurse verfügen und ausgereifte inländische Finanzsysteme entwickelt haben, im deutlichen Gegensatz zu den Wirtschaftssystemen der Schwellenländer in den späten Neunzigerjahren. Eine weit reichende Krise der Schwellenländer, ausgelöst durch Zahlungsbilanzkrisen, wie sie die asiatischen Länder zum Ende der Neunzigerjahre erlebten, erscheint daher unwahrscheinlich.

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