Inflation setzt Schwellenländer unter Druck

Die starke Erholung in den USA und der damit verbundene Reflationsdruck könnten für Teile des Schwellenländeruniversums eine Herausforderung darstellen. Am deutlichsten zeigt sich dies an den Märkten für US-Treasuries und – in geringerem Masse – deutsche Bundesanleihen.

Die Sorge, dass ein Überschiessen der Inflation die US Federal Reserve (Fed) und die Europäische Zentralbank (EZB) zu einem Kurswechsel veranlassen könnte, hat in diesem Jahr zu Zinsvolatilität und einem allgemeinen Anstieg der Real- und Nominalrenditen geführt. Weder die Fed noch die EZB dürfte jedoch ihre Geldpolitik plötzlich ändern, der aktuelle Inflationsdruck wird kaum nachlassen. Dass die beiden Zentralbanken früher als erwartet auf den anhaltenden Inflationsdruck reagieren könnten, stellt dennoch ein geringes, aber wachsendes Extremrisiko dar. Selbst wenn dies nicht geschieht, ist am Obligationenmarkt eine gewisse Skepsis gegenüber der Einschätzung erkennbar, dass der Inflationsdruck lediglich ein vorübergehendes Phänomen sein wird.

Das gesamte Schwellenländeruniversum wird unter Druck geraten
Ein plötzlicher Richtungswechsel der Fed hätte eine Veränderung der finanziellen Rahmenbedingungen zur Folge, vor allem wenn die Realzinsen steigen (das heisst, wenn die Nominalzinsen schneller als entweder die Kern- oder die Breakeven-Inflation steigen). Für eine Reihe von Risikoanlagen an den Aktien- und Anleihenmärkten könnte das Fahrwasser dadurch deutlich rauer werden, und Schwellenländeranlagen dürften mit zu den ersten gehören, die von diesem Anpassungsprozess getroffen werden. Die Anlageklasse ist in hohem Masse auf Finanzierung aus dem Ausland und einen neutralen bis schwachen US-Dollar angewiesen. Eine plötzliche Veränderung kann für sie daher eine erhebliche Belastung darstellen. In der Vergangenheit zählten Schwellenländeranlagen zu den ersten Anlageklassen, die auf einen Kurswechsel der Fed reagierten. Inzwischen haben sich die Fundamentaldaten einiger Schwellenländer zwar verbessert und viele Länder greifen verstärkt auf lokale (statt ausländische) Finanzierung zurück. Dennoch gehen wir davon aus, dass die Schwellenländer insgesamt unter Druck geraten werden.

Volkswirtschaften erholen sich mit unterschiedlichem Tempo
In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass die wirtschaftliche Erholung in den Schwellen- und Industrieländern unterschiedlich schnell verläuft. Bei den hochwertigeren Investment-Grade-Staatsanleihen von Schwellenländern sind bereits starke Anzeichen einer Konjunkturerholung zu erkennen. Das heisst, die Finanzministerien können mit der Konsolidierung des Staatshaushaltes beginnen und die Zentralbanken können ihre Geldpolitik normalisieren.

Im Anleihensegment könnte ein deutlicher Inflationsschock in den USA, der die Fed zu unerwarteten Zinsschritten veranlasst, den Schwellenländern erheblichen Schaden zufügen.

Nick Eisinger, Fondsmanager, Vanguard

In der Regel können sich die Schwellenländer den Luxus, ihre Wirtschaft «heisslaufen zu lassen», wie die Fed signalisiert hat, nicht leisten. Vielmehr werden sie darauf bedacht sein, ihre hart erarbeitete geldpolitische Glaubwürdigkeit zu untermauern. In vielen Schwellenländern, insbesondere jenen am schwächeren Ende des Kreditspektrums, wird die Erholung dennoch schwer zu erreichen sein oder äusserst lückenhaft ausfallen. Den politischen Entscheidungsträgern in diesen Ländern wird es äusserst schwerfallen, ihre akkommodierende geld- oder fiskalpolitische Unterstützung aufrechtzuerhalten. Für viele der schwächeren sogenannten Frontier-Länder stellen die höheren Ölpreise derzeit einen erheblichen Vorteil dar: Zum einen mindern sie die fiskalische Belastung und zum anderen sind dadurch weniger harte Einschnitte bei den Ausgaben vonnöten.

Steigende Zinsen sind in vielen ost- und mitteleuropäischen Ländern eingepreist
Viele Zentralbanken in Schwellenländern, die einen Inflationsanstieg verzeichnen, haben ihre Geldpolitik bereits gestrafft oder entsprechende Pläne signalisiert. Brasilien und Russland haben ihre Zinsen angehoben, was in vielen ost- und mitteleuropäischen Ländern wie Ungarn und der Tschechischen Republik bereits eingepreist ist. Das Tempo der Zinsanhebungen dürfte sich angesichts der uneinheitlichen, recht unbeständigen Erholung in einigen Ländern in diesem Stadium in Grenzen halten. Dass die Geldpolitik so akkommodierend sein wird wie zuvor, ist jedoch ebenso wenig vorstellbar. In Anbetracht dessen scheint beim Eingehen aktiver Engagements in Zinspapieren der Schwellenländer oder Duration insgesamt Vorsicht angebracht, wenngleich sich vereinzelt attraktive Anlagechancen eröffnen (beispielsweise können Anleger auf eine Abflachung der südafrikanischen Zinskurve setzen). Nach dem Ende des Straffungszyklus wird es Spielraum für ein erneutes Engagement geben.

Auswirkungen auf Währungen und Anleihen der Schwellenländer
Lagen die Zinsen in den Schwellenländern höher als in den USA, war dies ist der Vergangenheit stets ein guter Zeitpunkt, um ein Engagement in Schwellenländerwährungen einzugehen. Dies dürfte auch in der Zukunft der Fall sein, insbesondere in unserem Basisszenario, in dem die Fed sehr langsam und zurückhaltend agiert. Der Anlageklasse wird der höhere Carry gegenüber den USA zugutekommen, desgleichen wird sie davon profitieren, dass die Konjunkturerholung in den Schwellenländern allmählich den Rückstand zu den USA aufholt. Eine gewisse Vorsicht scheint geboten, weil Schwellenländerwährungen zunehmend überlaufen sind und ein deutlicher Kurswechsel der Fed (unter unserem Szenario mit Extremrisiko) zu beträchtlichen Mittelabflüssen aus dem Schwellenländeruniversum führen könnte. Für Schwellenländerwährungen hätte dies ungeachtet der Fundamentaldaten negative Folgen.

Im Anleihensegment könnte ein deutlicher Inflationsschock in den USA, der die Fed zu unerwarteten Zinsschritten veranlasst, den Schwellenländern erheblichen Schaden zufügen. Dies gilt insbesondere für Länder mit hohem Finanzierungsbedarf wie die Türkei und Teile Lateinamerikas. Staatsanleihen mit robusteren Fundamentaldaten könnten solchen Schocks besser standhalten. Allerdings weisen gerade sie nur einen geringen Spread-Puffer auf, der eine Schwäche von US-Treasuries oder höhere Rendite abfedern könnte. Bei einem mässigen Anstieg der Renditen von US-Treasuries, der nicht zu Mittelabflüssen aus den Schwellenländern oder einer deutlichen Verschärfung der Finanzierungsbedingungen führt, können hochverzinsliche Staatsanleihen der Schwellenländer eine gute Wertentwicklung erzielen, da ihr Spread-Puffer viel grösser ist.

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