Zinssenkungen, Zölle, Zockerei – startet jetzt die grosse Party an den Börsen?
Im 4. Quartal richtet sich der Blick der Anleger traditionell auf eine mögliche Jahresendrally. Die Frage, ob die Aktienmärkte in den verbleibenden Wochen des Jahres 2025 nochmals zulegen können, ist aktueller denn je. Nach einem volatilen, aber sehr erfreulichen Börsenjahr mit zweistelligen Kursgewinnen bei den meisten Aktienmärkten, stellt sich die Frage, ob die in der Vergangenheit oftmals beobachteten saisonalen Muster auch diesmal greifen werden.
Statistisch gilt das vierte Quartal als die renditestärkste Phase des Jahres. Über die vergangenen fünf Jahrzehnte erzielte der weltweite Aktienmarkt im Schlussquartal eine durchschnittliche Performance von 4.6%. Das ist etwa doppelt so viel wie in den übrigen drei Quartalen. Besonders der November und der Dezember stechen hervor. Mit durchschnittlichen Zuwächsen von jeweils rund 2% zählen sie zu den besten Börsenmonaten überhaupt. Die Wahrscheinlichkeit einer positiven Monatsperformance liegt am globalen Aktienmarkt im November bei rund 66%, im Dezember sogar bei über 80%. Ähnliche saisonale Verläufe zeigen sich in allen grossen Märkten, allerdings reagiert der defensivere Schweizer Aktienmarkt in der Regel etwas verhaltener. Generell verstärkt sich das Muster, wenn das laufende Jahr bereits positiv verlaufen war.
Was aktuell für eine Rally spricht
Mehrere Faktoren sprechen für eine Fortsetzung der positiven Saisonalität. Erstens bleibt das Marktmomentum trotz der jüngsten Konsolidierung hoch. Dies zeigte sich etwa jüngst beim Kursrückgang, nachdem Trump neue Zölle gegenüber China angedroht hatte.
Dominik Schmidlin, Leiter Anlagestrategie, St.Galler KantonalbankHistorische Muster und das anhaltend starke Momentum sprechen dafür, dass die Aktienmärkte auch dieses Jahr zum Ausklang nochmals zulegen könnten.
Kaum zeichnete sich eine Entspannung ab, kehrten die Käufer rasch zurück. Zweitens sorgt das sogenannte «Window Dressing» institutioneller Anleger für zusätzliche Nachfrage, da Fondsmanager ihre Portfolios zum Jahresende mit Gewinnern aufwerten. Drittens stützt die Liquiditätssituation die Märkte: Die Aussicht auf weitere Zinssenkungen in den USA stärkt die Risikobereitschaft. Gleichzeitig schichten viele Anleger im Schlussquartal frische Mittel in Aktien um.
Die Luft wird dünner
Doch es gibt auch Gegenargumente. Die Märkte sind nach den sehr positiven letzten Monaten hoch bewertet, insbesondere die grossen US-Technologiewerte. Ein Teil der Kursgewinne der vergangenen Monate basiert auf Erwartungen, die sich in den kommenden Quartalsberichten erst bestätigen müssen. Hinzu kommt, dass negative Unternehmensnachrichten wie jüngst der Konkurs von Frist Brands in den USA oder geopolitische Unsicherheiten, etwa rund um den Handelskonflikt, jederzeit zu Gewinnmitnahmen führen können. Auch aus makroökonomischer Sicht zeigt sich ein ambivalentes Bild: Das Wachstum hat sich zwar nicht so stark abgeschwächt, wie im Frühling noch befürchtet wurde, doch mehren sich die Schwächesignale am amerikanischen Arbeitsmarkt.
Chancen und Risiken halten sich die Waage
Die Jahresendrally ist kein Naturgesetz, aber ein wiederkehrendes Phänomen, genährt durch saisonale Psychologie und taktische Umschichtungen. Historische Muster und das anhaltend starke Momentum sprechen dafür, dass die Aktienmärkte auch dieses Jahr zum Ausklang nochmals zulegen könnten. Gleichzeitig mahnen hohe Bewertungen und geopolitische Risiken zur Vorsicht. In der Summe halten sich Chancen und Risiken einer Jahresendrally in etwa die Waage. Wer sich dafür positionieren möchte, kann dies tun. Im Allgemeinen sollten Anleger sich jedoch nicht von kurzfristigen Schwankungen leiten lassen, sondern ihre strategische Allokation diszipliniert beibehalten.