Wachstumschancen nach Korrektur: Europäische Small Caps jetzt unterbewertet

Nach einer Korrektur von 25 Prozent zwischen November 2021 und Oktober 2023 sind die Bewertungen europäischer Small Caps niedriger als die ihrer grosskapitalisierten Pendants – sowohl im Hinblick auf diskontierte Cashflows, als auch Gewinnmultiplikatoren.

Europäische Small Caps werden derzeit mit einem 12-Monats-Forward-Gewinnverhältnis (P/E) von 14,2x gehandelt – gegenüber einem Durchschnitt von 19,1x in den vergangenen zehn Jahren. Das 12-Monats-Forward-Gewinnverhältnis bei Large Caps im MSCI Europe Index beträgt dagegen 14,6x und liegt damit lediglich geringfügig unter dem Zehn-Jahres-Durchschnitt von 15,5x. Zyklische europäische Large Caps scheinen daher sehr hoch bewertet zu sein, in einigen Fällen sogar überbewertet. Hierbei handelt es sich um eine historische Anomalie.

Die Erholung der Small Caps wird seit einem Jahr prognostiziert, liess jedoch immer wieder auf sich warten – doch nun könnte die Rally endlich kommen.

Geoffroy Goenen, Head of Fundamental European Equity Management, Candriam

Gründe für die Korrektur
Aus unserer Sicht gibt es viele Gründe für diese Korrektur. Small Caps litten stärker als Large Caps unter dem Anstieg der langfristigen Zinsen. Unter den Nebenwerten finden sich viele wachstumsstarke Unternehmen, deren Cashflow-Generierung nicht kurzfristig, sondern eher mittel- bis langfristig erfolgt. Darüber hinaus haben sich die Abflüsse aus Europa in den letzten zwei Jahren aufgrund des Krieges in der Ukraine und der Energiekrise besonders auf weniger liquide Vermögenswerte – also auf die Small Caps – ausgewirkt. Zudem hat der Lagerabbau über den verlängerten Zeitraum von Ende 2022 bis Herbst 2023 die Auftragsvolumen kleinerer Unternehmen belastet. Vor allem in den Bereichen Gesundheitswesen, Industrie- und Spezialchemikalien wurde dies spürbar. Schliesslich mussten einige kleinere Unternehmen nach der Covid-Pandemie mit einer schwierigen Vergleichsbasis kämpfen, besonders im Bereich der zyklischen Konsumgüter.

Mit alter Stärke zu neuen Gewinnen
Die Stärken der Small Caps – darunter Agilität, Wachstum, Innovation – die in der Vergangenheit eine überdurchschnittliche Performance ermöglicht hatten, sind heute nach wie vor relevant. Nebenwerte dürften also dank mehrerer potenzieller Katalysatoren zeitnah einen erneuten Aufschwung erleben. Einer dieser Katalysatoren ist die erste Leitzinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB): Diese wird wahrscheinlich dazu führen, dass sich die Langfristzinsen der europäischen Staatsanleihen, darunter die Bundesanleihe, von den Langfristzinsen in den Vereinigten Staaten entkoppeln. Zweitens dürfte der Aufschwung bei Leitindikatoren wie beispielsweise dem Euro Composite Einkaufsmanagerindex, der über die letzten sechs Monate hinweg zu beobachten war, auch zu einer Erholung bei Nebenwerten führen. Historisch gibt es zwischen der Performance von Small Caps und der Entwicklung dieser Indikatoren eine positive Korrelation, die Entwicklung hatte sich in den letzten zwei Jahren allerdings untypischerweise entkoppelt. Der dritte Katalysator sind die immer schneller steigenden Gewinne der Small Caps in den vergangenen zwei Quartalen. Viele Unternehmen haben sogar die Konsenserwartungen übertroffen, insbesondere in Sektoren wie zyklische Konsumgüter, verarbeitendes Gewerbe, Medizintechnik und sogar Technologie.

Titelauswahl bleibt entscheidend
Obwohl Small Caps nun wieder an Fahrt gewinnen, hat Selektivität in diesem Segment weiterhin oberste Priorität. Für langfristigen Erfolg braucht es daher einen disziplinierten Ansatz, der auf fünf Anlagekriterien beruht: der Qualität des Managements, Marktwachstum, Wettbewerbsvorteilen mit Preissetzungsmacht oder Marktanteilsgewinnen, Rentabilität sowie einem angemessenen Verschuldungsgrad. Der Anlageprozess sollte zudem nicht nur finanzielle Aspekte umfassen. Ein Unternehmen mit guten Umwelt-, sozialen und Governance‑Praktiken ist besser in der Lage, den Herausforderungen des nachhaltigen Wachstums zu begegnen und regulatorische Auflagen zu erfüllen. Ein kontinuierlicher Dialog mit den Unternehmen ist ebenfalls unabdingbar, um ein besseres Verständnis über deren Organisation sowie Massnahmen zur Mitarbeiterbindung und ‑entwicklung zu gewinnen. Alles in allem bieten die aktuellen Bewertungen sehr attraktive Einstiegspunkte für Investitionen in Nebenwerte. Das gilt besonders für Unternehmen, die eine günstige Ertragsdynamik mit Innovationskraft vereinen. Die Erholung der Small Caps wird seit einem Jahr prognostiziert, liess jedoch immer wieder auf sich warten – doch nun könnte die Rally endlich kommen.

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