Taktische Zurückhaltung angesichts wachsender Risiken
Angesichts der Panik an den Märkten in den Tagen nach Präsident Trumps «Liberation Day» am 2. April 2025 hatten wir unsere Aktienpositionen im April aufgestockt. Das basierte auf der Erfahrung, dass Phasen extremer Angst – hoher Volatilität – gute Einstiegszeitpunkte sein können. Diese Entscheidung war unserer Meinung nach richtig, sie hat die Performance gestärkt. Nun gehen wir zu einer leichten Untergewichtung von Aktien über. Wir haben begonnen, Aktienbestände zu verringern; teils, weil sie uns angesichts neuer Informationen nicht mehr überzeugen, teils, weil uns die hohen Bewertungen Gewinnmitnahmen attraktiv erscheinen lassen. Im Folgenden möchten wir Ihnen die wichtigsten Argumente für den Übergang zu einer leichten Untergewichtung von Aktien kurz erläutern.
Vor allem in den USA erlebten die Aktienmärkte seit dem Kurseinbruch von Anfang April eine sehr dynamische Erholung. Gegenüber dem Tiefstand am 8. April hat sich der S&P 500 stark verbessert. Der US-Leitindex, der zwischenzeitlich tief im Minus gelegen hatte, kommt damit im Jahresverlauf – in Euro gerechnet – fast wieder auf eine positive Rendite. Die kräftige Kurserholung seit April spiegelt sich allerdings in der Bewertung. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 22,5 auf Basis der Gewinnerwartungen für die nächsten 12 Monate erreicht das KGV wieder die hohen Niveaus wie um den Jahreswechsel 2024/25. Und dies, obwohl auch die Gewinnerwartungen gestiegen sind. Speziell die Unternehmensberichterstattung für das zweite Quartal hat den US-Aktien eine deutliche Aufwärtsrevision der Gewinnerwartungen für das laufende und, teils, das kommende Jahr beschert. Dennoch liegt die Bewertung im 10 Jahres-Vergleich in der Nähe der Höchststände (s. Abbildung 1).

Für die Europäer gilt dieses Argument nicht in gleicher Weise. Mit einem KGV (nächste 12 Monate) von 14,5 liegt die Bewertung leicht über dem Mittelwert des 10 Jahres-Zeitraums. Aber der europäische Markt ist nach den Kursanstiegen dieses Jahres nicht mehr klar unterbewertet. Europäische Aktien gibt es nicht zum Schnäppchenpreis. Die höheren Bewertungen gehen mit anderen Warnsignalen einher. Auffällig ist besonders die asymmetrische Reaktion der Märkte auf positive und negative Gewinnüberraschungen: Lag das Quartalsergebnis bei Gewinnen und Umsätzen über den Erwartungen («Beat»), war die Kursreaktion im Allgemeinen positiv, aber nicht überschwänglich. Gab es eine Enttäuschung («Miss») bei einer Kennzahl, war die Reaktion in der Regel negativ – deutlicher, wenn die Gewinne nicht passten. Eine doppelte Enttäuschung (Gewinne und Umsätze) schliesslich wurde in der Regel hart abgestraft. Diese Reaktionsweise lässt darauf schliessen, dass die Marktteilnehmer skeptisch geworden sind. Die Asymmetrie ist oft ein Anzeichen dafür, dass der Markt eine Übertreibungsphase erreicht.
Jan Viebig, Chief Investment Officer, ODDO BHF SEDer Dollar hat gegenüber dem Euro seit Jahresbeginn stark abgewertet und den europäischen Anlegern die Freude an der Kurserholung der US-Märkte verdorben.
Gesamtwirtschaftliches Umfeld schwächer
Hinzu kommt, dass das wirtschaftliche Umfeld durchwachsen bleiben wird. Die Handelsvereinbarung der Europäer mit den USA reduziert zwar die Unsicherheit, aber der Einfuhrzoll von 15 Prozent auf Ausfuhren der Europäer in die USA belastet zweifellos das Wachstum in Europa. Für das laufende Jahr sehen die Marktteilnehmer das reale Wirtschaftswachstum bei gut 1 Prozent, der Internationale Währungsfonds kommt auf knapp 1 Prozent. Nach drei sehr guten Jahren ist in den USA eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums zu beobachten. Die Stimmung der US-Unternehmen ist trotz steuerlicher Wohltaten gedämpft. Die Sorge ist vor allem, dass – besonders infolge der Einfuhrzölle – steigende Preise die Nachfrage belasten könnten. Der ISM-Index für das verarbeitende Gewerbe liegt in den USA seit längerem unter der Expansionsschwelle von 50, der ISM-Index für den wichtigen Dienstleistungssektor ist seit Ende letzten Jahres bis an die Expansionsschwelle gefallen. Das ist ein Zustand, der für die USA durchaus ungewöhnlich ist, und den auch der Arbeitsmarkt widerspiegelt. Ein deutliches Warnsignal wäre eine rasche Zunahme der US-Arbeitslosenquote. Das ist derzeit nicht zu beobachten, die Arbeitslosenquote liegt recht stabil bei 4,1 bis 4,2 Prozent. Aber der Zuwachs an Arbeitsplätzen, der in den Jahren 2023/24 bei durchschnittlich 192‘000 pro Monat gelegen hatte, hat sich seit Jahresbeginn verlangsamt. Im Mittel der letzten drei Monate lag der Anstieg nur noch bei 35‘000 Stellen (siehe Abbildung 2).

Im Durchschnitt des ersten Halbjahrs 2025 ergibt sich eine Zunahme des realen Bruttoinlandsprodukts der USA von nur 0,7 Prozent pro Quartal (annualisiert, auf ein Jahr hochgerechnet). Für die zweite Jahreshälfte 2025 sind die Prognosen ein wenig höher. Die von Bloomberg befragten Wirtschaftsbeobachter erwarten für das Jahr 2025 im Mittel ein Wachstum von rund 1,5 Prozent. Die Prognose des IWF fällt mit 1,9 Prozent etwas höher aus, bleibt aber ebenfalls deutlich hinter den Ergebnissen der Vorjahre zurück.
Wachsam gegenüber Währungsrisiken
Der Dollar hat gegenüber dem Euro seit Jahresbeginn stark abgewertet und den europäischen Anlegern die Freude an der Kurserholung der US-Märkte verdorben. Ob sich dieser Trend weiter fortsetzen wird, lässt sich schwer vorhersehen – Wechselkursprognosen sind notorisch unsicher. Aus unserer Sicht sollte die Möglichkeit einer anhaltenden Dollarschwäche aber nicht übersehen werden. Politische Ideen wie der sogenannten «Mar-a-Lago-Accord» oder die «Revenge Tax» zur Besteuerung der Kapitaleinkünfte von Ausländern haben internationale Anleger gegen über der US-Währung skeptischer werden lassen. Diese Skepsis könnte neue Nahrung bekommen, wenn sich die Einflussnahme der US-Regierung auf die Notenbank verstärken sollte. Das erklärte Ziel von US-Präsident Trump sind spürbar niedrigere Notenbankzinssätze; er selbst hält einen Zinssatz von 1 Prozent für passend. Die Markterwartungen sind weniger aggressiv. Aber immerhin preist der amerikanische Zinsterminmarkt bis Ende 2026 fünf bis sechs Zinssenkungen (125 bis 150 Basispunkte) ein. Das spricht dafür, gegenüber Währungsrisiken auf der Hut zu bleiben. In Abwägung der Argumente haben wir uns entschieden, das Risiko in den Portfolios, die wir verwalten, vorerst zu verringern.