Europa schlägt sich besser als erwartet
Bei Industrie und Verbrauchern geht die Stimmung seit Jahresbeginn immer tiefer in den Keller – dabei wird weiter kräftig produziert und konsumiert.
Wie rosig sah aus Anlegersicht die Welt noch zu Jahresbeginn aus. Es bahnte sich die post-Covid Wiedereröffnungsdynamik an, als Hindernis drohten lediglich Engpässe auf der Angebotsseite. Mit kumuliert 6,5 Prozent Wirtschaftswachstum für 2022 und 2023 rechneten die von Bloomberg befragten Volkswirte, und zwar sowohl für Deutschland als auch für die Eurozone. Diese Zahl ist im Jahresverlauf für Deutschland auf ein Prozent und für die Eurozone auf drei Prozent geschrumpft. Der Fokus der Anleger liegt mittlerweile auf dem nächsten Jahr, für das Ökonomen im Schnitt einen Rückgang der Wirtschaftsleistung in der Eurozone in Höhe von 0,1 Prozent erwarten. Die Finanzexperten von DWS sind hier deutlich optimistischer und erwarten ein halbes Prozent Wachstum und für Deutschland nur einen Rückgang von 0,3 Prozent (Konsens: -0,7 Prozent).
Martin Moryson, DWS-Chefvolkswirt EuropaDer Höhepunkt der Unsicherheit in Europa sollte bald überschritten sein.
Einen der Gründe für denrelativen Optimismus zeigt die untenstehende Grafik: Im laufenden Jahr hat sich die Stimmung deutlich schlechter als die Lage selbst entwickelt, hier zu sehen bei den Verbrauchern. Ähnliches gilt für die Industrie. Derzeit ist ein rekordhoher Abstand sowohl bei der Verbraucher-, als auch der Unternehmerstimmung gegenüber den publizierten Konsum- und Produktionszahlen zu sehen. «Wir denken, dass sich die Lücke auch diesmal wieder schliessen wird, und zwar indem sich die relativ schlechtere Stimmung der relativ besseren Lage anpasst», meint dazu Martin Moryson, Chefvolkswirt Europa bei der DWS.
Konsumentenvertrauen versus Einzelhandelsumsätze in der Eurozone:
Gründe hierfür liefert sowohl die Angebots- wie die Nachfrageseite: Wesentlicher Treiber des Pessimismus waren die Sorgen um die Energieversorgung. Mittlerweile zeigt sich aber, dass wir gut durch diesen Winter kommen werden, da die Läger gefüllt sind, alternative Gaslieferanten gefunden wurden und die Nachfrage stark zurückgegangen ist. So verbrauchte die deutsche Industrie im dritten Quartal 2022 20 Prozent weniger Gas als im Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2021, während die Produktion aber nur um zwei Prozent zurückging.
Auf der Nachfrageseite wiederum wurde das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im dritten Quartal trotz schlechter Stimmungsindikatoren und hoher Inflation vom Konsum getrieben. Martin Moryson sieht dafür fünf wesentliche Gründe:
1. Die Löhne und Gehälter steigen weiter.
2. Die Beschäftigung steigt weiter und dürfte aufgrund des Fachkräftemangels auch bei schwachem Wachstum nur wenig zurückgehen.
3. Acht Prozent Inflation sind nicht gleichbedeutend mit acht Prozent weniger Kaufkraft, da die Menschen ihren Konsum anpassen (siehe etwa rückläufiger Gasverbrauch).
4. Der Staat greift dem Verbraucher erneut mit üppigen Stützungspaketen unter die Arme – EU-weit entsprechen die Hilfen rund 3,5 Prozent des BIPs.
Damit dürften 5. den Verbrauchern im kommenden Jahr real gar nicht so viel weniger Mittel zur Verfügung haben als dieses Jahr.
Dies erklärt, warum das DWS-Basisszenario optimistischer als der Konsens sind. «Das stützt zum Teil auch unsere jüngste Hochstufung europäischer Aktien auf Übergewichten, die derzeit mit einem rekordhohen Abschlag auf US-Aktien aufwarten. Auch die Erstarkung des Euro gegenüber dem Dollar seit nunmehr bald zwei Monaten reflektiert unseres Erachtens die Überzeugung der Anleger, dass der Höhepunkt der Unsicherheit in Europa bald überschritten sein wird», erklärt Martin Moryson.