Die zwei Seiten des demografischen Wandels

Demografische Aspekte spielen bei der Verwaltung von Portfolios eine grosse Rolle. Zum einen ist da die alternde Bevölkerung, die zwar Chancen für zahlreiche Wirtschaftssektoren eröffnet, gesamtwirtschaftlich gesehen jedoch vor allem die Sorgen vor Deflationsdruck in den betroffenen Ländern, insbesondere in Japan, erhöht. Zum anderen verleitet die wachsende Weltbevölkerung manche Menschen zu einer kritischen Haltung gegenüber dem Wirtschaftswachstum mit dem Ziel, so der Erschöpfung der natürlichen Ressourcen des Planeten entgegenzuwirken.

Alternde Gesellschaften auf der einen und Bevölkerungswachstum auf der anderen Seite sind widersprüchliche Entwicklungen, die zu gegenläufigen Strategien führen: Massnahmen zum Ausgleich der nachteiligen Auswirkungen der Alterung bei gleichzeitiger Begrenzung des Bevölkerungswachstums. Letzteres würde jedoch die Finanzierung einer alternden Gesellschaft erleichtern. Dieser Widerspruch lässt sich auflösen, wenn wir Arbeit und Produktivität fördern und die offizielle UN-Prognose zum Bevölkerungswachstum hinterfragen. So erwarten die Vereinten Nationen, dass die Weltbevölkerung von derzeit 8,1 Milliarden Menschen um weitere 2,3 Milliarden wachsen und ihren Höchststand erst etwa 2085 erreichen wird.

Die Alterung der Bevölkerung hat erst dann potenziell negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum, wenn die erwerbstätige Bevölkerung, d.h. die Gruppe der 15- bis 65-Jährigen, abnimmt. Der Anteil der Erwerbstätigen weltweit an der Gesamtbevölkerung sinkt seit 2015 um weniger als 0,1% pro Jahr und beläuft sich heute auf 65%. Der Anteil der unter 15-Jährigen verringerte sich um etwas weniger als 0,2% pro Jahr auf derzeit 25% der Bevölkerung und der Anteil der über 65-Jährigen stieg in gleichem Masse auf aktuell rund 10%. In Japan befinden sich nur 58,5% der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter – 10% weniger als noch 1990 –, während die über 65-Jährigen 30% der Einwohner stellen.

Die Vereinten Nationen, dass die Weltbevölkerung von derzeit 8,1 Milliarden Menschen um weitere 2,3 Milliarden wachsen und ihren Höchststand erst etwa 2085 erreichen wird.

Frédéric Leroux, Fund Manager, Carmignac

Das Beispiel Japan, wo der Alterungsprozess der Gesellschaft weiter fortgeschritten ist als in anderen Ländern der Welt, nährt häufig die Befürchtung, dass dem gesamten Planeten und insbesondere den am weitesten entwickelten Volkswirtschaften düstere Zeiten der Deflation drohen. Mehrere Faktoren sprechen jedoch für eine Relativierung dieses Risikos und der Folgen für das Wachstum. Zunächst hat Japan seine niedrige Geburtenrate nicht durch Zuwanderung ausgeglichen. Ferner musste das Land die grösste Immobilienkrise seiner Geschichte überwinden. Die Wirtschaftspolitik der Regierung hatte schliesslich zur Folge, dass einerseits der Deflationsdruck und die Verschuldung gestiegen sind und anderseits die Arbeitsmarkt- und insbesondere die Lohndynamik zum Erliegen kamen. Länder mit alternder Bevölkerung könnten Lehren aus den Entwicklungen in Japan ziehen, um die negativen Folgen des demografischen Wandels zu begrenzen. In Japan lag das Wirtschaftswachstum pro Einwohner seit 1990 bei 0,89%, gegenüber 1,47% in den USA und 1,03% in Frankreich. In Anbetracht des Zusammenspiels einer stark alternden Bevölkerung und dreier erheblich rezessionsfördernder Faktoren ist dieses Ergebnis gar nicht so schlecht.

In Japan befinden sich nur 58,5% der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter – 10% weniger als noch 1990 –, während die über 65-Jährigen 30% der Einwohner stellen.

Frédéric Leroux

Neben dem Zuzug von Arbeitskräften, für den die Menschen der aufnehmenden Länder immer deutlicher nach Regulierung verlangen, gibt es weitere Lösungen, um die Auswirkungen einer alternden Bevölkerung zu mindern. Zu den wichtigsten Ansätzen zählen die Steigerung der Erwerbsquote durch eine stärkere Beschäftigung von Frauen, die Anhebung des Renteneintrittsalters oder die Erhöhung der Arbeitszeit (was heute allerdings in den Industrieländern aufgrund sozialer Bestrebungen kaum durchsetzbar scheint). Die Steigerung der Produktivität durch den verstärkten Rückgriff auf Investitionen, Weiterbildung und Innovationen ist zudem nach wie vor unerlässlich. Die grossen Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) dürften in dieser Hinsicht höchstwahrscheinlich ein wichtiger Faktor für die strukturelle Anpassung an einen Rückgang der Erwerbsbevölkerung sein. Denn die potenziellen Produktionssteigerungen – und damit die Chancen, fehlende Arbeitskräfte zu ersetzen – sind auf längere Sicht enorm. Die Euphorie rund um künstliche Intelligenz ist aus dieser makroökonomischen Perspektive daher völlig gerechtfertigt.

Die Prognose eines Anstiegs der Weltbevölkerung von heute 8,1 Milliarden auf etwa 10,4 Milliarden Menschen bis 2085 stammt von den Vereinen Nationen. Unabhängige Schätzungen gehen hingegen von einer Höchstzahl von circa 9 Milliarden Menschen um das Jahr 2045 aus und erwarten anschliessend einen Rückgang auf circa 7,5 Milliarden Menschen bis 2100. Während sich die Prognose der Vereinten Nationen ausschliesslich auf die Extrapolation demografischer Daten stützt, simulieren konservativere Modelle die Beziehungen zwischen sozioökonomischen Entwicklungstendenzen und den Grenzen des Planeten. Der unlängst konstatierte Rückgang der Bevölkerung Chinas trat deutlich früher ein als von den jüngsten Prognosen erwartet und stärkt die Glaubwürdigkeit der Annahme, dass der Höchststand bereits bald erreicht sein wird. Sollten sich diese «dynamischeren» Prognosen in Zukunft bestätigen, könnten wachstumskritische Ansätze, die auf der Angst vor einer Überbevölkerung des Planeten fussen, an Bedeutung verlieren. Ein derartiger Umschwung würde dank einer realistischeren Berücksichtigung der globalen Herausforderungen in Bezug auf die Energiewende ein sichereres Wachstum und eine höhere Produktivität ermöglichen.

Arbeit und technischer Fortschritt würden für Wachstum und Produktivitätssteigerungen sorgen und zusammen mit einem, durch den bevorstehenden Bevölkerungsrückgang ermöglichten, pragmatischeren Ansatz bei der Nutzung von Rohstoffen dazu beitragen, dass die Wirtschaft besser mit den Folgen einer alternden Bevölkerung umgehen kann. Die Automatisierung, bei der Japan aus Notwendigkeit heraus führend geworden ist, die künstliche Intelligenz, die geradezu wie gerufen kommt, und Fortschritte der Forschung in anderen wichtigen Bereichen (wie etwa Nanotechnologie) zeigen, dass die Menschheit noch immer Antworten auf die Herausforderungen der Natur und ihrer starken Zyklizität finden kann.

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