Die aktuelle «Aristotle List» mit zehn konträren Anlageideen für 2024

Nach dem starken Jahresabschluss 2023 der Märkte zeigen wir uns in einer Zusammenstellung von zehn konträren Anlageideen für das bevorstehende Kapitalmarktjahr vorsichtiger als vor einem Jahr.

In Anlehnung an den griechischen Philosophen, der feststellte, dass es den Menschen im Allgemeinen leichter fällt, an interessante unmögliche Ereignisse zu glauben als an unwahrscheinliche mögliche Ereignisse, stellen wir in unserer jährlichen «Aristotle List» zehn Ideen vor, die von der allgemeinen Meinung abweichen und mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 30% in den nächsten zwölf Monaten eintreten werden – und so Anlagechancen für Anleger eröffnen könnten, die bereit sind, gegen den Konsens zu investieren.

Unserer Ansicht nach lassen sich mit einer erfolgreichen Positionierung gegen den Konsens die höchsten Renditen erzielen – oder die grössten Verluste vermeiden. Auf unserer letztjährigen Liste überwogen die positiven Überraschungen, da die Märkte nach einem schwierigen Anlagejahr 2022 verhalten ins Jahr 2023 gestartet waren. Nachdem die Börsen das Jahr 2023 mit deutlichen Gewinnen abgeschlossen haben, fällt die aktuelle Liste möglicher Überraschungen für 2024 eher negativ aus.

Zum einen rechnen wir in den USA mit einer kurzen Rezession – einem Szenario, das US-Aktien und -Hochzinsanleihen angesichts ihrer zuletzt starken Performance noch nicht eingepreist zu haben scheinen. Die verzögerte Wirkung der Fed-Zinserhöhungen könnte dazu führen, dass das US-BIP im Jahr 2024 zwei Quartale in Folge schrumpft. Die nach dem Wachstumsabschwung im ersten Halbjahr 2023 überraschend hohe Wachstumsdynamik im dritten Quartal führen wir auf die hohen öffentlichen Ausgaben, die Vorräte und die durch einen starken Abbau der Ersparnisse angekurbelten Verbraucherausgaben zurück – drei Faktoren, die unserer Meinung nach nicht von Dauer sein werden.

Was die Chancen für Aktienanleger angeht, halten wir an einer Idee unserer letztjährigen Aristotle List fest, die im vergangenen Jahr nicht eingetreten ist: eine Outperformance chinesischer Aktien.

Paul Jackson, Global Head of Asset Allocation Research, Invesco

Nach dem Anstieg der Anleiherenditen erwarten wir, dass die lange Phase der extremen Underperformance von Staatsanleihen vorbei ist und globale Staatsanleihen im Jahr 2024 erstmals seit 2018 wieder besser abschneiden werden als globale Aktien. Anzumerken bleibt, dass Staatsanleihen in der Regel besser laufen als Aktien, wenn die Zinskurven steiler werden, womit wir 2024 rechnen, wenn die Zentralbanken die Leitzinsen senken. Dabei würde eine Rezession die Staatsanleihemärkte zusätzlich stützen.

Obwohl der S&P 500 mit einem Plus von 24% im Jahr 2023 nur auf den Stand von Ende 2021 zurückgekehrt ist, betrachten wir diesen Anstieg als Übertreibung und erwarten, dass der Index am Jahresende 2024 tiefer notieren wird. Unseren Schätzungen zufolge liegt das Shiller PE des S&P 500 – eine vom US-Ökonomen Robert Shiller entwickelte Kennzahl für das zyklusbereinigte Kurs-Gewinn-Verhältnis – bei über 31, was für einen immer noch teuren Markt spricht. Ausgehend von einem derartigen Bewertungsniveau sind die langfristigen Renditen in der Vergangenheit eher dürftig ausgefallen, und ich vermute, dass sich der Optimismus der Märkte zerschlagen wird – vor allem, falls es zu einer Rezession kommt oder die Inflation wieder anzieht.

Was die Chancen für Aktienanleger angeht, halten wir an einer Idee unserer letztjährigen «Aristotle List» fest, die im vergangenen Jahr nicht eingetreten ist: eine Outperformance chinesischer Aktien. Wir sehen das Bewertungsargument durch die Underperformance im Jahr 2023 zusätzlich untermauert. So sind chinesische Aktien mit einem zyklusbereinigten KGV von 13,1 Ende 2023 deutlich niedriger bewertet gewesen als im historischen Durchschnitt (25,3) und als US-Aktien (35,7) und indische Aktien (42,2). Darüber hinaus hat sich die chinesische Wirtschaft besser entwickelt, als es nach aussen hin scheint, und erheblich besser als die US-Wirtschaft. Mit einer Zentralbank, die ihre Geldpolitik in den letzten Jahren gelockert hat, dürfte China seinen Wachstumsvorteil gegenüber den USA halten. Ausserdem ist Chinas Politik meiner Ansicht nach berechenbarer geworden, während die US-Politik bei einem Wechsel im Weissen Haus unberechenbarer werden könnte.

Eine exotischere Anlageidee, mit der sich Anleger im Jahr 2024 gegen den Konsens positionieren könnten, betrifft kolumbianische Aktien, von denen wir erwarten, dass sie besser abschneiden werden als die grossen Aktienindizes. Nach einem Indexrückgang von 7% im Jahr 2023 notiert der kolumbianische Leitindex MSCI COLCAP aktuell mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 6,1, bei einer Dividendenrendite von 11,2%. Auf Grundlage der Konsensprognosen für 2024 (Bloomberg, 4. Januar 2024) werden daraus 6,4 bzw. 7,7%. Ein derartiges Bewertungsniveau spricht in der Regel entweder für eine grosse Anlagechance oder eine bevorstehende Schieflage. Den Konsensschätzungen zufolge wird mit einem Rückgang der Gewinne und Dividenden gerechnet, wobei die Dividendenrendite weiter das KGV übersteigt. Die geläufigen makroökonomischen Kennzahlen – Inflation und Staatshaushalt/Aussenbilanz – deuten ebenfalls nicht auf eine bevorstehende Katastrophe hin, und der Peso hat im Verlauf des letzten Jahres aufgewertet.

Zu den unwahrscheinlichen Entwicklungen, die wir für 2023 richtig prognostizierten, gehören ein Rückgang der US-Kerninflation unter 4,0%, eine Outperformance ukrainischer Staatsanleihen und Überrenditen für pakistanische Aktien gegenüber den wichtigsten Indizes.

Paul Jackson

An den Rohstoffmärkten rechnen wir im Jahr 2024 mit einer durch geopolitische Faktoren angeheizten Preisrally für Brent-Rohöl und Gold. Dass die Förderkürzungen der OPEC+ und der Konflikt zwischen Israel und Hamas bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die Energiepreise hatten, erklärt sich für uns mit der Schwäche der Weltwirtschaft. Angesichts der zunehmenden Probleme im Nahen Osten, des anhaltenden Konflikts zwischen Russland und der Ukraine und der potenziellen geopolitischen Destabilisierung durch die Wahlen in den USA könne Brent im Jahr 2024 die Marke von 100 US-Dollar überschreiten, was einem Anstieg von fast 30% gegenüber dem 29. Dezember 2023 entspräche (basierend auf dem Preis des nächstfälligen Terminkontraktes). Unterdessen hat sich Gold seit dem Hamas-Angriff auf Israel um mehr als 200 US-Dollar verteuert und könne über 2’350 US-Dollar steigen, vor allem, falls sich der 2016 beobachtete «Trump»-Aufschlag auf den Goldpreis wiederholen sollte: Gold verteuerte sich einst durch die Verunsicherung aufgrund des damaligen Wahlsiegs von Donald Trump um mehr als 200 US-Dollar.

Wir rechnen auch mit einer Fortsetzung der Yen-Aufwertung im Jahr 2024, da weiterhin spekuliert wird, dass die Bank of Japan bald die Zinsen anheben wird, während die US-Notenbank auf eine Lockerung ihrer Geldpolitik zusteuert. Ich halte eine 10-prozentige Aufwertung des Yen, durch die der USD/JPY im Jahr 2024 unter 125 fallen würde, für absolut denkbar. Selbst dann wäre der Yen im historischen Vergleich auf realer Basis immer noch sehr günstig.

Damit bleiben noch drei Überraschungen auf unserer «Aristotle List» für 2024: ein Sieg der Demokraten bei mindestens zwei der drei wichtigsten Wahlen in den USA am 5. November 2024, der Verlust der Alleinherrschaft des ANC in Südafrika bei den für Mitte Mai bis Mitte August angesetzten Parlamentswahlen 2024 und der Europameister-Titel für die französische Nationalelf.

Zu den unwahrscheinlichen Entwicklungen, die wir für 2023 richtig prognostizierten, gehören ein Rückgang der US-Kerninflation unter 4,0%, eine Outperformance ukrainischer Staatsanleihen und Überrenditen für pakistanische Aktien gegenüber den wichtigsten Indizes.

Hauptbildnachweis: Freepik