Gold – Die neue Welt(reserve)währung

Ein Allzeithoch jagt das nächste – zuletzt kostete eine Unze mehr als 2’700 US-Dollar. Was steckt hinter der jahrzehntelangen Rally? Eine Antwort auf diese Frage ist gar nicht so einfach.

Selten waren die Chronisten so ratlos und wenig überzeugend wie heute, wenn sie nach Gründen für den irritierend starken Goldpreisanstieg suchen. Das gängige Erklärungsmuster lautet: fallende Zinsen, Angst vor Inflation und geopolitische Konflikte. Aber ergibt das Sinn?

Die Zinsen sind im laufenden Jahr wesentlich weniger gefallen als zu Jahresbeginn erwartet und wären damit eher eine Enttäuschung für Goldanleger. Die Inflation befindet sich auf dem Rückzug, und die Inflationsprognosen für 2024 liegen heute tiefer als zu Jahresbeginn. Beide Argumente taugen also nicht für einen Erklärungsversuch. Bleiben die geopolitischen Risiken. Die Lage im Nahen Osten hat sich tatsächlich verschärft. Die Lage in den anderen Krisenherden ist dagegen weitgehend unverändert. Allerdings dürfte im Zuge dieser Konflikte das Bestreben einiger Staaten gewachsen sein, ihre Währungsreserven nicht mehr in US-Staatsanleihen zu halten, deren Verfügbarkeit jederzeit von der US-Regierung eingeschränkt werden kann, sondern in Gold anzulegen.

Tatsächlich scheint es einen langfristigen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Staatsverschuldung und dem Goldpreis zu geben, wie ein Vergleich über die vergangenen 20 Jahre zeigt.

Bert Flossbach, Gründer Flossbach von Storch AG

So verwundert es nicht, dass die Notenbanken vieler Länder seit geraumer Zeit das zinslose Gold als Reservewährung gegenüber US-Staatspapieren präferieren und ihre Goldbestände im laufenden Jahr erneut deutlich aufgestockt haben. Dagegen war die reine Investmentnachfrage nach Gold, die sich an den globalen Gold-ETF-Beständen ablesen lässt, bis Mai stark rückläufig (Nettoverkäufe von 157 Tonnen). Trotzdem notierte der Goldpreis zu diesem Zeitpunkt bereits über der Marke von 2’400 Dollar. Bis Ende September haben Investoren wieder netto rund 90 Tonnen Gold hinzugekauft, was für das laufende Jahr aber immer noch einen Negativsaldo von etwa 70 Tonnen bedeutet (siehe Grafik).

Es müssen also weitere Käufer im Markt sein, um einen derart fulminanten Goldpreisanstieg zu bewirken. In erster Linie dürften dies Käufe von physischen Barren sein, die nicht in den Zentralbankstatistiken erfasst werden. In Betracht kommen zum Beispiel regierungsnahe Institutionen aus Ländern, die ihre Abhängigkeit zu den USA reduzieren wollen, aber auch Käufe von Privathaushalten. Gold kennt kein Hegemonial- und Gegenparteirisiko. Niemand ausserhalb der USA muss befürchten, dass die US-Regierung den eigenen Goldbesitz konfisziert (sofern er ausserhalb der USA lagert). Auch die hohe und stark wachsende Verschuldung in den USA und vielen anderen Ländern dürfte ein wichtiger Grund für Grossinvestoren sein, ihren Reserveschatz stärker auf Gold auszurichten. Zwar ist das Gegenparteirisiko – sprich Staatspleiten – bei den meisten Ländern nur theoretischer Natur, allerdings untergräbt eine nicht nachhaltige Schuldenpolitik den langfristigen Wert der Währungen, in denen die Schulden bedient werden. Tatsächlich scheint es einen langfristigen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Staatsverschuldung und dem Goldpreis zu geben, wie ein Vergleich über die vergangenen 20 Jahre zeigt (vgl. Grafik).

Seit Mitte der Neunzigerjahre bis zur Finanzkrise im Jahr 2008 lag die Staatsverschuldung der USA relativ konstant bei um die 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Goldpreis hat sich in dieser Zeit von circa 400 US-Dollar auf rund 1’000 Dollar mehr als verdoppelt. Dieser Anstieg von knapp sieben Prozent p.a. war vor allem auf die starke Nachfrage der beiden wichtigsten «Goldkonsumenten» Indien und China zurückzuführen, deren Wirtschaft in dieser Phase boomte. Wir hatten im Jahr 2004 die Perspektiven für Gold aufgrund der starken Nachfrage dieser Länder so beschrieben: «Wenn alles gut läuft, steigt der Preis auf 1’000 US-Dollar, wenn nicht, deutlich höher.»

Die Schuldenrally
Und es lief nicht gut. Nach der Finanzkrise stieg die Verschuldung der USA deutlich an und erreichte im Jahr 2012 erstmals seit den Vierzigerjahren wieder die Marke von 100 Prozent. Der Goldpreis verdoppelte sich bis 2011 auf über 1’900 Dollar, was auch auf die Eurokrise und die explodierende Staatsverschuldung in der Eurozone zurückzuführen war. Danach war erstmal Ruhe. Die US-Staatsschuldenquote stabilisierte sich bei gut 100 Prozent, und der Goldpreis fiel (auch wegen der ausgeprägten Dollarstärke) auf ein Tief von gut 1’050 Dollar, um sich dann langsam wieder auf ein Niveau von 1’500 Dollar aufzurappeln. Dann kam Covid. Gigantische Rettungspakete und ein Konjunktureinbruch liessen die US-Staatsverschuldung in kürzester Zeit auf ein historisches Hoch von über 130 Prozent des BIP explodieren. Der Goldpreis schoss in der gleichen Zeit von 1’500 auf 2’060 Dollar empor.

Erneut kehrte Ruhe ein. Die Staatsverschuldung fiel aufgrund hoher Inflationsraten und guter Wirtschaftsentwicklung auf 120 Prozent, um dann wieder leicht auf aktuell 125 Prozent zu steigen. In dieser Zeit schwankte der Goldpreis um die Marke von 1’800 Dollar, bis er Ende 2023 erstmals das Covid-Rekordniveau überschritt. Zuletzt stieg der Goldpreis über die Marke von 2’700 Dollar, was auch als Antizipation einer weiter steigenden Staatsverschuldung interpretiert werden kann. So wird allein der Zinsaufwand der US-Regierung in diesem Jahr auf mehr als drei Prozent des BIP steigen. Möglicherweise kommt es nach dem starken Preisanstieg der vergangenen Monate nun zu einer erneuten Verschnaufpause, bis die Staatsverschuldung den nächsten Schub nach oben vollzieht.

Unabhängig davon bleibt Gold weiterhin ein wichtiger Wertanker in einer zunehmend fragilen (Schulden-)Welt.

Hauptbildnachweis: Freepik