Hände weg von inflationssensitiven Anlagen
Mit 5,4% hat die US-Verbraucherpreisinflation (CPI) im Juni den höchsten Stand seit September 1990 erreicht. Der von der US-Notenbank (Fed) bevorzugte Inflationsindikator, die PCE-Kerninflation, lag um 1,5 Prozentpunkte über dem Fed-Zielwert von 2%.
Die Marktteilnehmer scheinen den wiederholten Beteuerungen der Fed, dass die Preisstabilität nicht ernsthaft gefährdet sei, Glauben zu schenken: Nach einem zunächst steilen Anstieg ist die 10-jährige Staatsanleihenrendite in den USA seit Ende März generell gesunken. Wir haben die Ursachen für Inflation im Allgemeinen und die Gründe für den aktuellen Teuerungsschub genauer analysiert und kommen zum Schluss, dass die US-Notenbank die gleichen Fehler machen könnte wie ihre Vorgänger im Vorfeld der Grossen Inflation der 1970er Jahre.
John Greenwood, Chefökonom InvescoIm Gegensatz zu den offiziellen Erklärungen der Fed glauben wir nicht, dass der aktuelle Anstieg der Inflation ein vorübergehendes, auf das Wiederhochfahren der Wirtschaft zurückzuführendes Phänomen ist
Im Gegensatz zu den offiziellen Erklärungen der Fed glauben wir nicht, dass der aktuelle Anstieg der Inflation ein vorübergehendes, auf das Wiederhochfahren der Wirtschaft zurückzuführendes Phänomen ist. Wir gehen vielmehr davon aus, dass die Preise noch mindestens zwei Jahre lang steigen und die Anlagerenditen aushöhlen werden. Insofern sollten Anleiheinvestoren vor Anlagen in Vermögenswerte, die in einem inflationären Umfeld tendenziell schlecht abschneiden, Abstand nehmen. Die Zentralbanken folgen einer auf den Kopf gestellten Inflationstheorie, wenn sie die derzeitige Inflationsepisode als temporäres und zufälliges Phänomen erklären, das durch vorübergehende Steigerungen einzelner Preise ausgelöst wird, die sich bald wieder umkehren werden. Eigentliche Ursache der Inflation ist ein zu starkes Geldmengenwachstum, das die Zentralbanken nach mehr als einem Jahrzehnt der Zurückhaltung aktuell bewusst in Kauf nehmen.
Diejenigen, die wie ich glauben, dass die Inflation ein monetäres Phänomen ist, haben mit Erstaunen beobachtet, wie die Fed zugelassen hat, dass die M2-Geldmenge in den USA seit Februar 2020 um fast 32% gestiegen ist. Das ist auch der Grund für die nach Ansicht der Fed vorübergehende Erholung der Preise von ihrem niedrigen Niveau im Frühjahr und Sommer 2020 (z.B. Hotelpreise, die zu Beginn der Pandemie gesenkt wurden und nun wieder angehoben werden, sodass sich die Preise de facto kaum verändert haben). Die US-Notenbank erwartet, dass die Teuerungsrate schon in wenigen Monaten wieder bei 2% liegen wird. Die Fed könnte damit den gleichen Fehler machen wie ihre Vorgänger vor der Hochinflationsphase der 1970er Jahre, als die vermeintlich vorübergehenden inflationären Faktoren als «Rauschen» abgetan wurden, die in keinem Zusammenhang mit der Geldpolitik stünden, bis sie – viel zu spät – zugeben musste, dass die USA ein Inflationsproblem hatten.
John GreenwoodEigentliche Ursache der Inflation ist ein zu starkes Geldmengenwachstum, das die Zentralbanken nach mehr als einem Jahrzehnt der Zurückhaltung aktuell bewusst in Kauf nehmen.
Eine Analyse von Albert Friedberg, einem Vermögensverwalter und Rohstoffhändler aus Toronto, erklärt sehr anschaulich, warum die Inflation immer «klumpig» ist: Wenn die Überschussliquidität zu steigenden Preisen führt, werden die Preise für knappe Waren viel schneller steigen als die Preise für leicht zu findende Waren. Die Verbraucher können diese Preiserhöhungen verkraften, weil mehr Geld zum Ausgeben bereit steht. Mit der Zeit werden dann auch die Preise für andere Güter steigen, wenn diese knapp werden. In den 1970er Jahren folgten auf den Ölpreisschock weitere Preissteigerungen bei Kakao, Zucker, Weizen und anderen Waren. Mit Blick auf die aktuelle Inflationslage verweisen wir auf Preissteigerungen bei Einfamilienhäusern in den USA und anderen knappen Gütern wie Autos und elektronischen Chips oder auch internationalen Frachtraten. Da diese in die Höhe geschnellt sind, ohne dass andere Preise gesunken sind, scheint eine höhere Inflation vorprogrammiert – zumindest für die nächsten zwei Jahre, solange sich die überschüssige Geldmenge ihren Weg durch das System bahnt.
John GreenwoodWenn die Fed noch nicht verstanden hat, was wirklich hinter dem jüngsten Inflationsanstieg steckt, könnte es noch lange dauern, bis sie die Preise wieder unter Kontrolle hat
Wenn die Fed noch nicht verstanden hat, was wirklich hinter dem jüngsten Inflationsanstieg steckt, könnte es noch lange dauern, bis sie die Preise wieder unter Kontrolle hat. Daher müssen sich die Investoren auf eine längere Phase steigender Preise mit einer sinkenden Kaufkraft der Konsumenten und einer wirtschaftlichen Verlangsamung einstellen. Die Inflation ist ein Top-down-Prozess, bei dem die Geldmenge einzelne Preise in einer eher zufälligen Reihenfolge in die Höhe treibt, je nachdem, welche Waren und Dienstleistungen gerade knapp sind. Letztlich aber führt die Überschussliquidität zu einem allgemeinen Preisanstieg.