Warum die EZB die Zinsen erhöht und die Fed nicht

Nach einer schnellen Abfolge von zehn Zinserhöhungen bis auf 5,0 bis 5,25 Prozent in gerade einmal zwölf Monaten hat die amerikanische Notenbank Fed am Mittwoch erstmals eine Pause eingelegt. Allerdings hat sie eine weitere Straffung ihres Kurses angekündigt. Die EZB dagegen hat am Donnerstag noch einmal eine kleine Erhöhung auf die bisherigen Anhebungen draufgesetzt und den Hauptrefinanzierungssatz um 0,25 Prozentpunkte auf 4 Prozent angehoben. Damit steht die Frage im Raum: Warum gönnt sich die Fed eine Pause, während die EZB ihre Zinsen weiter anhebt?

Der erste Grund ist, dass die EZB im Vergleich zur Fed mit einer Verzögerung von etwa vier Monaten auf die gestiegenen Inflationsraten reagiert hat. Damit liegt die EZB in ihrem Zinserhöhungszyklus etwas zurück. Der zweite Grund ist, dass die Leitzinsen in den USA stärker gestiegen sind als in der Eurozone. Vor allem liegen die amerikanischen Zinsen schon über der Inflation, was nicht nur durch höhere Zinssätze, sondern auch durch eine niedrigere Inflation begründet ist.

Die EZB hat am vergangenen Donnerstag deutlich gemacht, dass gemäss ihrer Einschätzung die Inflation hartnäckiger bleiben wird als bisher angenommen. Für dieses Jahr erwartet sie nun eine Teuerungsrate von 5,1 Prozent, nachdem sie bisher davon ausging, dass sie auf 4,6 Prozent fallen könnte. Für das kommende Jahr 2024 hat sie ihre Prognose von 2,9 Prozent auf 3 Prozent heraufgesetzt. Dennoch kann auch die Fed noch nicht den Sieg im Kampf gegen die Inflation verkünden. Einerseits sind Energiepreise besonders volatil. Andererseits erhöhten sich die Lebensmittelpreise in den USA im Mai um 0,2 Prozent (6,7 Prozent ggü. Vorjahr), nachdem sie die beiden Monate zuvor stagniert hatten. Und vor allem die Kernrate, die bei 5,3 Prozent steht, sinkt nur langsam.

Auch wenn die Fed und die EZB die Inflation bisher gut im Griff haben, besteht aus heutiger Sicht kein Grund, schon jetzt über Zinssenkungen zu spekulieren.

Jan Viebig, Chief Investment Officer, ODDO BHF

Neben der Geldpolitik der Notenbanken sind die Arbeitsmärkte entscheidend, wenn es darum geht, die Inflationsdynamik zu brechen. Geldpolitiker fürchten besonders die Zweitrundeneffekte: Steigen die Preise für wichtige Konsumgüter, fordern die Arbeitnehmer höhere Löhne. Die Unternehmen wiederum werden versuchen, gestiegene Personalkosten über höhere Produktpreise auf ihre Kunden abzuwälzen. Damit könnte sich die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen. Auch kann es sein, dass die Unternehmen versuchen, die Inflation zu nutzen, um ihre Preise über die höheren Kosten hinaus zu erhöhen und auf diese Weise ihre Gewinnmarge auszuweiten. Allerdings sind in Europa Lohnsteigerungen und eine Erhöhung der Gewinnmargen bisher nicht in dem Masse aufgetreten, wie die Debatte um diese beiden Effekte vermuten lässt.

Überraschend ist jedoch die Lage am Arbeitsmarkt. Leitzinserhöhungen haben zum Ziel, die Wirtschaftsaktivität über einen Rückgang der Nachfrage zu dämpfen und so die Inflation zu brechen. Damit geht in der Regel ein Anstieg der Arbeitslosigkeit einher. Doch die Arbeitsmärkte zeigen sich bisher robust. In den USA ist die Arbeitslosenquote im Mai zwar um 0,3 Prozentpunkte gestiegen, bleibt aber mit 3,7 Prozent niedrig. Auch ist die Zahl der Erwerbstätigen ausserhalb der Landwirtschaft um 339’000 gestiegen und bleibt damit leicht unter dem durchschnittlichen Anstieg von 340’000 in den vergangenen zwölf Monaten. Auch in der Eurozone bleibt die Arbeitslosigkeit nach wie vor niedrig. Die Arbeitslosenquote lag über alle Mitgliedsländer hinweg im April bei 6,5 Prozent.

Manche geldpolitischen Beobachter hatten schon darauf spekuliert, dass die Notenbanken bald dazu übergehen könnten, die Leitzinserhöhungen wieder zurückzunehmen. Auch wenn die Fed und die EZB die Inflation bisher gut im Griff haben, besteht aus heutiger Sicht kein Grund, schon jetzt über Zinssenkungen zu spekulieren.

Hauptbildnachweis: Freepik